Deutsches Reich,
Sonnabend,
07. April 1900
Inland
Deutsches Reich
Berlin - Mordprozeß ”Gönczi“ beendet
Der
Berliner
Mordprozeß
”Gönczi“
endete
mit
der
Verurteilung
des
ange
-
klagten
Schuhmachers
Gönczi
zum
zweifachen
Tode
und
zum
Verlust
der
bürgerlichen Ehrenrechte; seine Frau wurde freigesprochen.
Was war geschehen
Am
23.
August
1897
wurde
in
der
Berliner
Königgrätzer
Straße
35
ein
Dop
-
pelmord verübt.
Das
Haus
in
der
Königgrätzer
Straße
35,
in
unmittelbarer
Nähe
des
Anhalter
Bahnhofes,
dicht
am
Askanischen
Platz,
also
gewissermaßen
im
verkehrsreichsten
und
vornehmsten
Teile
Berlins,
gehörte
der
vermögenden
(über
eine
Million
Reichsmark)
Witwe
Auguste
Schultze
und
deren
Stief
-
tochter Klara Schultze, die im zweiten Stock wohnten.
Am
14.
August
1897,
vormittags
10
Uhr,
waren
die
beiden
Frauen
zum
letzten
Male
von
Hausbewohnern
lebend
gesehen
worden.
Schon
gegen
Mittag
des
genannten
Tages
klingelte
der
Kohlenmann
vergebens
vor
der
Schultzeschen
Wohnung.
Aber
auch
Zeitungsboten,
Briefträger
usw.
fanden
trotz
allen
Klingelns
keinen
Einlaß.
Den
Hausbewohnern
fiel
dies
wohl
auf.
Allein
ein
in
der
Mühlenstraße
wohnender
Schuhmacher,
namens
Gönczi,
der
einige
Wochen
vor
dem
14.
August
1897
im
Hause
Königgrät
-
zer
Straße
35
einen
zu
ebener
Erde
gelegenen
Laden
nebst
Keller
und
Nebengelaß
gemietet
hatte,
teilte
den
Hausbewohnern
mit,
die
beiden
Damen
seien
nach
Paris
gefahren,
hätten
ihm
die
Schlüssel
ihrer
Wohnung
übergeben
und
ihn
auch
mit
der
Einziehung
der
Mieten
betraut.
Den
Haus
-
bewohnern
schien
das
sehr
wenig
glaubhaft.
Gleich
darauf
traf
jedoch
aus
Hannover
ein
Telegramm
von
den
vermissten
Damen
an
einen
alten
Haus
-
bewohner
ein,
in
dem
die
Angaben
Gönczis
vollauf
bestätigt
wurden.
Ein
Telegramm
gleichen
Inhalts
erhielt
auch
der
Verwalter
des
Schultzeschen
Hauses in der Prenzlauer Allee.
Es
fiel
daher
niemandem
mehr
auf,
daß
Gönczi
mit
Frau
in
der
Schultzeschen
Wohnung
sich
zu
schaffen
machte,
und
auch
nicht,
daß
Gönczi
eine
Anzahl
Fuhren
Erde
in
den
Keller
schaffen
ließ.
Endlich,
am
23.
August,
nahmen
Hausbewohner
einen
eigentümlichen,
aus
dem
Keller
kommenden
Geruch,
der
auf
Leichenverwesung
hindeutete,
wahr.
Als
der
Keller
durch
einen
Schlosser
geöffnet
worden
war,
fand
man
in
dem
Vorder
-
zimmer
die
dort
hineingeworfene
Erde
aufgehäuft
vor.
Die
Kriminalpolizei
ließ
die
Erde
abschaufeln,
und
man
stieß
alsbald
auf
zwei
Kisten,
in
denen
die
Leichen
der
beiden
Frauen,
in
schwarzes
Wachstuch
eingehüllt,
vorge
-
funden
wurden.
Beiden
waren
die
Schädel
eingeschlagen,
der
alten
Frau
auch
noch
der
Unterkiefer
zertrümmert,
beide
Leichen
waren
mit
Blut
besu
-
delt.
Blutspuren
deuteten
darauf
hin,
daß
der
Mord
in
dem
Gönczischen
Laden
vollführt
worden
war;
vermutlich
hat
der
Mörder
zunächst
eine
der
Frauen
in
den
Laden
gelockt,
dort
ermordet
und
den
Leichnam
in
den
Keller
geschafft, und dasselbe alsdann bei der zweiten getan.
Die
Beute
des
Raubmörders
war
nicht
annähernd
so
groß,
als
er
gehofft
hatte,
da
Frau
Schultze
ihr
Barvermögen
im
Betrage
von
etwa
einer
halben
Million
teils
bei
einem
Bankier,
teils
bei
der
Reichsbank
hinterlegt
hatte.
Außer
einigen
wenigen
Wertpapieren
im
Betrage
von
einigen
tausend
Mark,
mehreren
Schmucksachen
und
einer
kleinen
Barsumme
ist
dem
Mör
-
der
nichts
in
die
Hände
gefallen.
Daß
Gönczi
die
Tat
vollbracht
haben
müsse,
war
sofort
jedermann
klar,
die
Bemühungen
der
Polizei,
des
Ehe
-
paares
Gönczi
habhaft
zu
werden,
waren
jedoch
zunächst
vergeblich.
Gönczi
und
Frau
waren
mit
ihrem
Hund
schon
einige
Tage
vorher
aus
Berlin
abgereist.
Es
wurde
sogleich
vom
Berliner
Polizeipräsidium
im
Verein
mit
den
Erben
der
Ermordeten,
eine
hohe
Belohnung
auf
Ergreifung
des
Gönczi
-
schen
Ehepaares
ausgesetzt.
An
die
Polizeibehörden
aller
zivilisierten
Staaten,
an
sämtliche
deutschen
Konsulate
im
Auslande
und
an
zahllose
Zeitungen
der
ganzen
Welt
wurden
wiederholt
Steckbriefe
mit
dem
Bild
-
nisse
des
Ehepaares
geschickt,
und
durch
besondere
Aufrufe
wurde
die
Öffentlichkeit
zur
Mithilfe
bei
der
Entdeckung
und
Verhaftung
der
Flüchtigen
aufgefordert.
Es
war
jedoch
keine
Spur
von
dem
verbrecherischen
Ehepaar
zu
entdecken.
Endlich
nach
vollen
zwei
Jahren,
Anfang
August
1899,
kam
ein
Mann
aus
Curtiba
(Brasilien)
in
das
deutsche
Generalkonsulat
nach
Rio
de
Janeiro.
Als
er
den
dort
aus
-
gestellten
Steckbrief
auf
das
Gönc
-
zische
Ehepaar
sah,
bemerkte
er
sofort:
er
habe
die
beiden
Leute
oft
-
Inhalt
Inland
Seite 01
Ausland
Seite 15
Feldwebel
desertiert,
aber
wieder
ergriffen
worden
und
deswegen,
sowie
weil
er
einige
dem
Fiskus
gehörige
Sachen
mitgenommen
hatte,
zu
4
Jah
-
ren
schweren
Kerkers
verurteilt
worden,
welche
Strafe
er
auf
der
Festung
Theresienstadt
verbüßt
habe.
Im
April
1884
sei
er
losgekommen
und
bei
dem
Hofschuhmacher
Lürmitz
in
Budapest
als
Geselle
eingetreten.
Dann
sei
er
noch
bei
dem
Hofschuhmacher
Ristel
in
Wien
und
bei
den
Hofschuh
-
machern
Bayer
und
Weidinger
in
München
tätig
gewesen.
Im
Jahre
1891
habe
er
in
Budapest
seine
Frau
geheiratet,
die
er
in
München
kennen
gelernt
hatte.
Im
Jahre
1892
trat
er
in
das
Müller
&
Schlitzwegsche
Schuh
-
warengeschäft
in
Berlin
ein,
wo
er
5
Jahre
als
Werkführer
tätig
gewesen
sei.
Im
Mai
1897
habe
er
sich
selbständig
gemacht
und
im
Hause
Mühlenstraße
45
ein
Wiener
Schuhwarengeschäft
eröffnet.
Seine
Frau
habe
1.500
Mark
in die Ehe gebracht.
Frau
Gönczi
bemerkte
auf
Befragen
des
Vorsitzenden:
Sie
sei
in
Min
-
dorf
in
Bayern
geboren
und
katholischer
Konfession.
Bis
zu
ihrer
Verheira
-
tung
war
sie
in
München
als
Verkäuferin
tätig.
Sie
wisse
von
der
ganzen
Sache
nichts,
sie
wußte
nicht
einmal,
daß
ihr
Mann
in
der
Königgrätzer
Straße, wo sich der Mord ereignete, eine Filiale besessen habe.
Vorsitzender: Sind Sie beteiligt an dem Morde?
Angeklagte: Nein.
Vorsitzender: Sie wissen also auch nichts davon?
Angeklagte:
Nichts;
mein
Mann
hat
mir
nichts
davon
gesagt.
Anfang
August,
so
bemerkte
die
Angeklagte
weiter
auf
Befragen
des
Vorsitzenden,
habe
ihr
ihr
Mann
mitgeteilt,
daß
er
eine
Hausverwalterstelle
bekommen
habe.
Sie
habe
sich
nicht
weiter
darum
bekümmert,
da
sie
vollauf
in
dem
Geschäft
in
der
Mühlenstraße
zu
tun
hatte.
Am
14.
August
1897,
dem
Mord
-
tage,
sei
ihr
Mann
sehr
früh
fortgegangen
und
gegen
12
Uhr
mittags
sehr
blaß
und
erregt
zurückgekehrt.
Am
18.
August
habe
er
plötzlich
zu
ihr
gesagt,
sie
müßten
sofort
abreisen,
sie
solle
ihre
Sachen
einpacken.
Er
habe
ihr
verschiedene
Schmucksachen
und
Wertpapiere
gezeigt,
darunter
mexikanische
Anleihe,
die
er
angeblich
im
Schlafzimmer
der
Frau
Schultze
gefunden
habe.
Er
habe
dazu
angegeben:
Die
Frau
Schultze
habe
ihn
als
Hausverwalter
engagiert
und
ihn
beauftragt,
in
ihrem
Hause
Ordnung
zu
halten,
während
sie
mit
ihrer
Stieftochter
eine
Reise
nach
Hannover
machte.
Am
18.
vormittags
habe
er
die
Wohnung
der
Frau
Schultze
leer
gefunden
und
die
Wertsachen
an
sich
genommen.
Ihr
sei
dies
nicht
auffällig
erschienen,
da
ihr
Mann
die
Schlüssel
zu
der
Wohnung
in
der
Hand
hatte.
Er sei auch schon am 14. einmal hingegangen, um dort Bilder anzunageln.
Vorsitzender: Nahm er da etwas mit?
mals
in
Curtiba
gesehen.
Auf
Veranlassung
des
deutschen
Generalkonsuls
wurden
sogleich
Polizeibeamte
nach
Curtiba
gesandt.
Gönczi
muß
aber
durch
irgendeine
Unvorsichtigkeit
Wind
bekommen
haben,
denn
er
war
spurlos
aus
Curtiba
und
Umgegend
verschwunden.
Im
September
1899
gelang
es,
Gönczi
und
Frau
auf
Anordnung
des
deutschen
Generalkonsuls
Werner in Rio de Janeiro zu verhaften.
Nach
längeren
diplomatischen
Verhandlungen
wurden
Gönczi
und
Frau
per
Schiff
nach
Hamburg
und
von
dort
nach
Berlin
gebracht.
Der
Hund
”Butzi“,
von
dem
sich
die
Gönczischen
Eheleute
auch
in
Brasilien
nicht
tren
-
nen
konnten,
wurde
von
dem
Generalkonsul
Werner
zurückbehalten
und
für
Rechnung
des
preußischen
Justizfiskus
verkauft.
Gönczi
und
Frau
hatten
sich
vom
03.
bis
07.
April
1900
vor
dem
Schwurgericht
des
Landgerichts
Berlin
I
wegen
Mordes
bzw.
Beihilfe
und
Begünstigung
zu
verantworten.
Den Vorsitz des Schwurgerichtshofes führte Landgerichtsdirektor Huth.
Die
Anklage
vertrat
Staatsanwaltschaftsrat
Plaschke;
die
Verteidi
-
gung
war
dem
Rechtsanwalt
Dr.
Herbert
Fränkel
und
Justizrat
Grabower
übertragen.
Der
Andrang
des
Publikums
nach
dem
großen
Schwurgerichts
-
saal
des
alten
Moabiter
Gerichtsgebäudes
war
enorm.
Der
vor
dem
Richtertisch
aufgestellte
Zeugentisch
war
von
einer
Anzahl
Pappschachteln
bedeckt.
Ferner
sah
man
einen
Teil
des
Gönczischen
Ladentisches,
die
in
Sackleinwand
eingehüllten
Kisten,
in
denen
die
Leichen
der
Frau
Schultze
und
ihrer
Stieftochter
Klara
vorgefunden
wurden,
ein
Stück
Läuferstoff
und
dergleichen
mehr.
Zunächst
wurde
Frau
Gönczi
von
einem
Schutzmann
auf
die
Anklagebank
geführt.
Sie
war
50
Jahre
alt,
eine
stark
abgemagerte,
blasse
Frau
mit
einem
Kropfhals.
Der
Kopf
der
Frau
war
fast
unaufhörlich
durch
nervöse
Zuckungen
in
Bewegung.
Frau
Gönczi
befand
sich
in
großer
Erregung, so daß ihr wiederholt Hoffmannstropfen gereicht werden mußten.
Gönczi,
47
Jahre
alt,
war
ein
schmächtiger
Mann
mit
wohlgepflegtem
grauem
Vollbart
und
Haupthaar.
Er
erschien
in
schwarzem
Anzug
mit
Geh
-
rock
und
blickte
ohne
ein
Zeichen
der
Erregung
im
Saale
umher.
Auf
Befragen
des
Vorsitzenden
bemerkte
Gönczi:
Er
sei
in
Maros-Vasarhely
(deutsch:
Pflugstadt)
in
Siebenbürgen
geboren,
woselbst
sein
Vater
Grund
-
besitz
im
Werte
von
20.000
Mark
bewirtschaftet
habe.
Er
habe
bis
zu
seinem
14.
Lebensjahre
die
deutsche
und
ungarische
Schule
in
Hermann
-
stadt
und
Klausenburg
besucht
und
sei
dann
in
die
Lehre
zu
einem
Schuhmacher gekommen.
Im
Jahre
1872
sei
er
Soldat
geworden
und
in
das
62.
Infanterie-Regi
-
ment
(Prinz
Ludwig
von
Bayern)
in
Karlsburg
eingetreten.
Nach
dreijähriger
Dienstzeit
sei
er
im
Jahre
1875
wegen
einer
Differenz
mit
seinem
Bezirks-
Deutsches Reich,
Sonnabend,
07. April 1900
Seite
2
unverfälschten
ungarischen
Dialekt
bestritt
er
mit
denkbar
größter
Zungen
-
fertigkeit
die
gegen
ihn
erhobene
Anklage
und
beschuldigte
den
im
Hause
Königgrätzer
Straße
35
wohnenden
Gastwirt
Hinz
sowie
den
Hausverwalter
Habermann
der
Tat.
Er
habe
die
beiden
Frauen
erst
4
Wochen
vor
ihrem
Tode
kennen
gelernt.
Die
alte
Frau
Schultze
habe
ihm
sofort
sehr
großes
Vertrauen
entgegengebracht
und
ihm
sogar
die
Schlüssel
zu
ihrer
Wohnung
überlassen.
Es
sei
ihm
bald
aufgefallen,
daß
die
Stieftochter
Klara
ein
Ver
-
hältnis
mit
einem
Schuhreisenden
Löwy
unterhielt,
von
dem
die
alte
Frau
keine
Kenntnis
hatte.
Die
beiden
hätten
sich
in
dem
kleinen
Zimmer
hinter
dem
von
ihm
gemieteten
Laden
wiederholt
getroffen.
Löwy
habe
ihm
gera
-
ten,
den
Laden
auf
recht
lange
zu
mieten,
damit
er
sich
mit
der
Stieftochter
recht
oft
und
ungestört
treffen
könne.
Hinz
und
Habermann
hätten
von
die
-
sem Verhältnis Kenntnis gehabt.
Vorsitzender:
Das
Fräulein
Klara
Schultze
war
eine
56
1/2jährige
alte
Person,
die
von
Gesichtszucken
und
Speichelfluß
geplagt
war
und
sehr
”schlunzig“
ging.
Wie
wollen
Sie
uns
glauben
machen,
daß
sie
unter
diesen
Umständen einen Liebhaber gefunden haben sollte?
Angeklagter:
Das
Verhältnis
hatte
ja
auch
schon
vor
17
Jahren
begonnen.
Vorsitzender:
Und
während
dieser
langen
Zeit
soll
die
Mutter
gar
nichts davon gemerkt haben? Das ist doch kaum glaublich.
Angeklagter:
Es
ist
aber
so.
Der
Angeklagte
erzählte
dann
weiter:
Der
Vorschlag
Löwy,
mit
ihm
gemeinsam
den
Laden
in
der
Königgrätzer
Straße
zu
mieten,
habe
ihm
sehr
eingeleuchtet,
da
er
Löwy
für
einen
wohlhaben
-
den
Mann
gehalten
habe.
Er
habe
dementsprechend
auch
die
Firma
Gönczi u. Co. an den Laden anbringen lassen.
Vorsitzender: Wo wohnte denn dieser Löwy?
Angeklagter:
Er
hat
mir
eine
Visitenkarte
gegeben,
darauf
stand:
”Johann Löwy, Brüssel, Boulevard 2a.
Vorsitzender:
Es
ist
auffällig,
daß
nicht
darauf
steht,
welcher
Boule
-
vard.
Ferner
ist
es
auffällig,
daß
Sie
den
Löwy,
als
Sie
nachher
nach
Brüssel kamen, nicht aufgesucht haben.
Angeklagter:
Ja,
ich
habe
ihn
nicht
finden
können.
Der
Angeklagte
bemerkte
ferner
auf
Befragen
des
Vorsitzenden:
Am
14.
August
sei
er
mit
Löwy
und
dessen
Schwester,
einer
angeblichen
Rentiersfrau,
im
Pschorr
-
bräu
zusammengetroffen
und
da
habe
ihm
Löwy
folgendes
erzählt:
Klara
Schultze
sei
am
14.
August
mit
ihrer
Mutter
von
einer
Reise
aus
Hannover
zurückgekehrt.
Er,
Löwy,
habe
unten
in
dem
Hinterzimmer
des
Ladens
sich
aufgehalten
und
die
beiden
Damen
gebeten,
noch
ein
Glas
Bier
mit
ihm
zu
Angeklagte: Ja, ein Beil.
Vorsitzender: Hat er das wieder mitgebracht?
Angeklagte:
Nein.
Die
Angeklagte
erzählte
sodann
weiter:
Am
Abend
des
18.
August
1897
habe
ihr
Mann
zwei
Droschken
bestellt
und
sei
in
eine
mit
seinem
Wolfsspitz
eingestiegen,
in
der
andern
habe
sie
mit
ihrem
Dienstmädchen
Martha
Raffalski
Platz
genommen.
Sie
seien
alsdann
zuerst
planlos
herumgefahren
und
hätten
sich
schließlich
zum
Bahnhof
Friedrich
-
straße
begeben,
wo
sie
sich
bis
zur
Abfahrt
des
Zuges
nach
Frankfurt
an
der Oder aufhielten.
Vorsitzender:
Ihr
Mann
hatte
Ihnen
wohl
nicht
gesagt,
wohin
Sie
rei
-
sen würden?
Angeklagte: Doch, er sagte, wir fahren nach Brüssel.
Vorsitzender:
Man
fährt
doch
aber
nicht
über
Frankfurt
an
der
Oder
nach Brüssel?
Angeklagte:
Ich
wußte
ja
nicht,
wo
Brüssel
liegt.
Die
Angeklagte
bemerkte
hierauf,
daß
sie
sich
bis
gegen
6
Uhr
früh
in
Frankfurt
an
der
Oder
aufgehalten
hätten
und
dann
über
Cottbus,
Halle,
Köln
und
Aachen
nach
Brüssel
gefahren
seien.
Hier
hätten
sie
sich
zunächst
nicht
einlogiert,
son
-
dern
seien
die
erste
Nacht
in
den
Straßen
Brüssels
herumgegangen.
Am
andern
Tage
erst
habe
ihr
Mann
in
einem
Hotel
in
der
Nähe
des
Boulevard
Wohnung
genommen.
Ende
September
seien
sie
dann
nach
Antwerpen
und
von
dort
mit
einem
Dampfschiff
nach
Rio
de
Janeiro
gefahren.
In
Brüs
-
sel
habe
ihr
Mann
eine
ihm
nicht
gehörende
Uhr
verkauft
und
in
Antwerpen
für
das
Geld
eine
neue
erstanden.
Die
Wertpapiere
habe
er
in
Sao
Paolo
in
Brasilien verkauft.
Vorsitzender:
Wo
haben
Sie
denn
nun
die
erste
Nachricht
von
der
Ermordung der Frau Schultze und ihrer Tochter erhalten?
Angeklagte: In Brüssel. Mein Mann las es mir aus einer Zeitung vor.
Vorsitzender: Hat er im Anschluß daran noch etwas zu Ihnen gesagt?
Angeklagte:
Nein.
Er
hat
mir
nur
nachher
in
Brasilien
gesagt,
der
Löwy
und
der
Schulz
(der
Schulz
hat
ein
Restaurant
in
dem
Hause
der
Frau
Schultze)
werden
es
schon
wissen,
wer
es
gewesen
ist.
Er
deutete
dann
an,
daß
die
beiden
die
Frauen
gemeinsam
umgebracht
und
in
den
Keller
geschafft hätten, wobei er Hilfe geleistet habe.
Vorsitzender:
Wissen
Sie,
daß
die
Raffalski
ein
Liebesverhältnis
mit
Ihrem Mann hatte?
Angeklagte:
Nein,
wenn
ich
das
gewußt
hätte,
würde
ich
sie
nicht
im
Hause geduldet haben.
Hierauf
wurde
der
Ehemann
Gönczi
zur
Sache
vernommen.
Im
Deutsches Reich,
Sonnabend,
07. April 1900
Seite
3
trinken.
Als
Frau
Schultze
hinuntergekommen
sei,
habe
sie
gesagt:
Herr
Löwy,
da
Sie
so
anständig
sind
und
uns
Bier
spendieren,
so
will
ich
Ihnen
auch
Zigarren
anbieten.
Sie
habe
die
Stieftochter
nach
oben
geschickt,
um
die Zigarren zu holen.
Während
dieser
Zeit
sei
er,
Löwy,
zu
dem
Gastwirt
Hinz
hinüberge
-
gangen
und
habe
diesem,
der
eine
”große
Wut“
auf
die
alte
Schultze
hatte,
gesagt,
er
solle
doch
drei
Glas
Bier
hinübertragen.
Die
alte
Schultze
sei
übrigens
allein
im
Zimmer,
er
könne
sich
dabei
für
den
Ausdruck
”Mörder“
revanchieren,
mit
dem
ihn
die
alte
Frau
einmal
belegt
habe.
Als
dann
Hinz
ins
Zimmer
getreten
sei,
habe
die
alte
Frau
gerufen:
”Wenn
ich
gewußt
hätte,
daß
das
Bier
von
diesem
'Mörder'
kam,
hätte
ich
mich
nicht
einladen
lassen.“
Über
diese
Bemerkung
sei
Hinz
so
erregt
geworden,
daß
er
über
die
alte
Frau
hergefallen
sei
und
sie
geschlagen
habe.
Dabei
sei
das
Licht
umgefallen
und
in
der
Dunkelheit
seien
Löwy
und
Klara
Schultze
in
das
Zimmer
getreten.
Letztere
habe
ihrer
Mutter
zu
Hilfe
eilen
wollen,
sei
aber
in
die
Hände
des
Hinz
gefallen
und
von
diesem
irrtümlich
auch
geschlagen
worden.
Als
man
Licht
gemacht
habe,
sei
Hinz
ganz
bestürzt
gewesen
und
habe
gerufen:
”Nun
habe
ich
ja
die
Klara
auch
totgeschlagen!“
Die
beiden
Frauen
hätten
noch
bis
in
die
Nacht
hinein
gelebt
und
seien
erst
infolge
ihres
großen
Blutverlustes
verschieden.
Löwy
habe
sodann
Wachsleinwand
aus
dem
Laden
geholt
und
diese
um
die
Köpfe
der
Toten
gebunden,
worauf
man
die
Leichen
gegen
Morgen
in
den
Keller
und
hier
in
die
Kisten
geschafft
habe.
Löwy
und
Hinz
hatten
nun
ihn,
Gönczi,
als
Täter
vorzu
-
schieben
beschlossen,
da
er
keine
Kinder
hatte
und
Geld
brauchte.
Demgemäß
habe
ihm
Löwy
gesagt:
Er,
Gönczi,
solle
nach
Brasilien
gehen,
er würde 10.000 Mark erhalten und solle ja nichts von der Sache sagen.
Vorsitzender:
Weshalb
haben
Sie
denn
nun
nicht
das
Nächstliegende
getan und sind zur Polizei gegangen, um die Sache anzuzeigen?
Angeklagter:
Löwy
hatte
mich
ängstlich
gemacht.
Er
sagte,
die
Geschichte
wäre
in
meinem
Laden
passiert,
die
Wachsleinwand
und
die
Kisten
gehörten
mir,
also
würde
man
mir
nicht
glauben
und
sie
beide
wür
-
den dann noch das Ihrige tun, um mich hineinzureiten.
Vorsitzender: Sie flohen dann. Haben Sie die 10.000 Mark erhalten?
Angeklagter:
Nein.
Löwy
sagte,
er
würde
mir
das
Geld
erst
schicken,
wenn
ich
in
Brasilien
wäre,
er
gab
mir
aber
Juwelen
und
Uhren,
sowie
Wert
-
papiere von der Frau Schultze, damit ich genügend Reisegeld hätte.
Vorsitzender:
Sie
sind
dann
nach
Brüssel
gefahren.
Weshalb
fuhren
Sie zunächst nach Frankfurt an der Oder?
Angeklagter: Ich wußte den richtigen Weg nicht.
Vorsitzender:
Hat
Ihnen
denn
Löwy,
der
ja
angeblich
in
Brüssel
wohnte, den Reiseweg nicht gesagt?
Angeklagter: Nein.
Der
erste
Zeuge
war
Polizeileutnant
Höpfner,
Vorsteher
des
für
das
Haus
Königgrätzer
Straße
35
zuständigen
Polizeireviers.
Er
bekundete:
Nach
dem
14.
August
1897
sei
wiederholt
auf
seinem
Bureau
davon
gesprochen
worden,
daß
in
dem
Hause
Königgrätzer
Straße
35
nicht
alles
mit
rechten
Dingen
zugehe.
Trotzdem
die
Wirtin
Frau
Schultze
und
ihre
Stieftochter
angeblich
verreist
seien,
bringe
doch
jeden
Morgen
der
Bäcker
das
Frühstück,
der
Kohlenmann
die
Kohlen
und
die
Botenfrau
die
Zeitun
-
gen.
Es
sei
doch
merkwürdig,
daß
die
Frauen
die
Leute
nicht
abbestellt
hätten.
Am
25.
August
sei
dann
der
Bankier
Gimpel,
der
der
Vermögensver
-
walter
der
Frauen
war,
zu
ihm,
Zeugen,
gekommen
und
habe
seiner
Verwunderung
Ausdruck
gegeben,
daß
die
Frauen
abgereist
sein
sollten,
ohne bei ihm Geld zu erheben.
Das
Gerücht,
daß
die
Frauen
verreist
seien,
hatte
Gönczi
verbreitet.
Er,
Zeuge,
habe
daraufhin
in
Begleitung
von
zwei
Kriminalschutzleuten
das
Haus
durchsucht,
und
dabei
sei
ihm
vor
allem
das
am
16.
August
ohne
Anzeige
bei
dem
zuständigen
Revier
erfolgte
Abladen
mehrerer
Fuhren
Sand
in
das
unter
dem
Gönczischen
Laden
befindliche
Kellerzimmer
ver
-
dächtig
erschienen,
um
so
mehr,
als
das
Zimmer
gedielt
und
früher
bewohnt
wurde.
Gönczi
hatte
angegeben,
Löwy
wollte
unter
dem
Sande
einen
größeren
Posten
Ungarwein
aufbewahren.
Als
er
(Polizeileutnant)
das
Kellerzimmer
betreten
wollte,
fand
er
daselbst
ein
Kunstschloß
vorge
-
legt,
das
auch
ein
herbeigerufener
Kunstschlosser
nicht
zu
öffnen
vermochte.
Er
habe
deshalb
die
Türfüllung
herausnehmen
und
durch
die
entstandene Öffnung die beiden Beamten hineinkriechen lassen.
In
dem
Zimmer
wurde
der
angefahrene
Sand
in
einer
Ecke
aufge
-
schaufelt
vorgefunden.
Ein
Spaten
stand
dabei.
Mit
diesem
schaufelte
einer
der
Schutzleute
etwas
Sand
beiseite,
worauf
eine
Kiste
sichtbar
wurde.
Es
sei
ihm,
Zeugen,
aufgefallen,
daß
der
Wein
in
Kisten
liegen
sollte,
statt
direkt
in
dem
Sande,
er
habe
deshalb
die
Kiste
öffnen
lassen.
Da
habe
man
die
Leiche
der
Klara
Schultze
und
später
in
der
anderen
Kiste
die
der
alten
Frau
Schultze
gefunden.
Die
sofort
benachrichtigte
Kriminalpolizei
habe
das
weitere veranlaßt.
Dr.
med.
Köhler
bekundete:
Er
habe
die
erste
ärztliche
Untersuchung
der
beiden
Leichen
vorgenommen.
Beide
Leichen
waren
schon
stark
in
Ver
-
wesung
übergegangen.
Die
Gesichter
seien
entweder
mit
einem
Beile
oder
Deutsches Reich,
Sonnabend,
07. April 1900
Seite
4
einem
eisernen
Totschläger
bearbeitet
worden.
Das
Stirn-
und
Nasenbein
war bei beiden Leichen vollständig zertrümmert.
Der
Gerichtschemiker
Dr.
Paul
Jeserich
legte
hierauf
einen
Läufer
auseinander,
an
dem
er
Blutspuren
nachweisen
wollte.
Dieser
Läufer
lag
hinter
dem
Ladentisch
in
der
Königgrätzer
Straße
und
ließ
äußerlich
keine
Blutspuren
erkennen.
In
dem
Augenblick,
als
der
Vorsitzende
den
Ange
-
klagten
fragte:
Kennen
Sie
den
Läufer,
antwortete
dieser
in
seiner
schnellen
Sprechweise:
Gewiß,
darauf
fiel
ja
die
Frau
hin,
als
sie
-
dann
stockte
er
und versetzte: So sagte mir Löwy.
Staatsanwalt
Plaschke:
Ich
konstatiere,
daß
der
Angeklagte
gesagt
hat,
die
Frau
ist
auf
diesen
Läufer
gefallen.
Ob
ihm
Löwy
dies
mitgeteilt
hat,
lasse
ich
dahingestellt.
Tatsache
ist,
daß
der
Angeklagte
bisher
den
Schau
-
platz der Tat immer in das Hinterzimmer des Ladens verlegt hat.
I
bitt'
schön,
Herr
Staatsanwalt,
die
Frau
ist
aus
dem
Hinterzimmer
in
den Laden hinein und auf den Läufer gefallen.
Staatsanwalt: Das ist ganz unwahrscheinlich.
Bankier
Gumpel
bekundete
als
Zeuge:
Er
habe
ca.
150.000
Mark
in
Wertpapieren
in
Aufbewahrung
gehabt
und
den
Frauen
davon
ca.
4.000
Mark
stets
zur
Verfügung
gestellt.
Das
letzte
Mal
habe
er
Brauhaus-Aktien
und
mexikanische
Anleihe
gegeben.
Die
Stieftochter
Klara
habe
unum
-
schränkte
Vollmacht
gehabt
und
habe
hauptsächlich
die
Verhandlungen
mit
ihm, Zeugen, geführt.
Vorsitzender:
Was
ist
denn
nun
an
der
Bezeichnung
Gips-und
Millio
-
nen-Schultze dran?
Zeuge:
Der
Mann
der
Frau
Schultze,
ein
Bauunternehmer
Schultze,
besaß
die
Gipsbrüche
bei
Spremberg
in
der
Mark,
die
einen
Wert
von
5-
600.000
Mark
haben
mögen.
Bei
einem
Verkaufe
würden
2-300.000
Mark
herausgekommen
sein.
Da
die
alte
Frau
Schultze
außer
diesen
Gipsbrü
-
chen
auch
noch
180
Morgen
Wiesen
und
ferner
die
drei
Grundstücke
in
Berlin
besaß,
so
konnte
man
sie
auf
1
1/2
Millionen
Mark
taxieren.
Der
Zeuge
bekundete
ferner:
Es
sei
ihm
aufgefallen,
daß
die
Frauen
sich
bei
ihm
nicht
sehen
ließen.
Er
habe
daher
im
Hause
Königgrätzer
Straße
35
Nachfrage
gehalten
und
sei
dabei
auf
Gönczi
gestoßen.
Dieser
habe
angeblich
in
der
Schultzeschen
Wohnung
die
Gaslampen
in
Ordnung
gebracht
und
zu
ihm
gesagt:
die
beiden
Frauen
seien
nach
Hannover
und
Paris
gefahren
und
kämen
demnächst
wieder.
Er,
Gönczi,
sei
der
von
ihnen
eingesetzte
Hausverwalter,
und
bringe
ihre
Wohnung
in
Ordnung.
Ihm,
Zeu
-
gen,
sei
das
alles
sehr
auffällig
erschienen,
da
einmal
die
beiden
Frauen
seit
Jahren
nicht
mehr
gereist
waren
und
andererseits,
weil
sie
ihm
von
der
Einsetzung Gönczis als Hausverwalter nichts mitgeteilt hatten.
Schließlich
sei
es
ihm
auch
verdächtig
erschienen,
daß
die
als
sehr
mißtrauisch
bekannten
beiden
Frauen
dem
Gönczi
ihre
Wohnungsschlüssel
hinterlassen
haben
sollten.
Auf
Grund
aller
dieser
Umstände
habe
er
am
23.
August
1897
die
Anzeige
bei
dem
zuständigen
Polizeirevier
erstattet,
die zur Entdeckung der Mordtat geführt habe.
Da
der
Angeklagte
immer
wieder
auf
Löwy
zu
sprechen
kam,
forderte
ihn der Vorsitzende auf, die Persönlichkeit des Löwy genau zu schildern.
Angeklagter
Gönczi:
Er
war
eben
ein
älterer
Mann,
so
42-46
Jahre
alt. Sein Haar war rötlich-grau, und er war ein geborener Brüsseler.
Vorsitzender: Was für eine Religion hatte der Mann denn?
Angeklagter: Er war ein getaufter Israelit.
Vorsitzender: Sprach er denn nur immer Französisch?
Angeklagter: Aber nein, er sprach gut Deutsch.
Vorsitzender: Aber Französisch doch auch.
Angeklagter:
Einmal
hat
er
Französisch
gesprochen,
sonst
sprach
er
immer seine Muttersprache.
Vorsitzender: Wie das?
Angeklagter: Nun, Belgisch. (Große Heiterkeit.)
Wirtschafterin
Franz
bekundete
als
Zeugin:
Sie
sei
Wirtschafterin
beim
Geheimrat
Thür,
der
eine
Wohnung
neben
der
der
Damen
Schultze
innehatte.
Sie
kannte
die
Ermordeten
seit
drei
Jahren.
Die
beiden
Damen
haben
ein
sehr
zurückgezogenes
Leben
geführt.
Am
Sonnabend,
den
14.
August
1897,
sei
es
ihr
aufgefallen,
daß
der
Eismann
keinen
Einlaß
in
die
Wohnung
finden
konnte
und
daß
die
Singspiel,
die
das
Eis
angenommen,
mit
dem
gleichen
Mißerfolge
zu
verschiedenen
Tageszeiten
an
der
Schult
-
zeschen
Wohnung
geklingelt
hatte.
Gönczi
habe
ihr
später
die
Mitteilung
gemacht, daß die Damen verreist seien.
Befremdet
habe
es
sie,
daß
Gönczi
Erde
und
Schutt
in
den
sauber
gestrichenen
und
tapezierten
Keller
habe
werfen
lassen.
Auf
Befragen
habe
Gönczi
erklärt,
daß
er
einen
kleinen
Weinhandel
anfangen
und
die
Erde
zum
Lagern
des
Weines
benutzen
wolle.
Gönczi
habe
ihr
erzählt,
die
Schultzens
seien
nach
Brüssel
und
Paris
gefahren,
sie
kehrten
vielleicht
nicht
mehr
zurück,
denn
sie
wollten
sich
eine
Villa
kaufen
und
hätten
ihn
beauftragt,
das
Haus
zu
verwalten
und
die
Wirtschaft
nachzuschicken;
er
kenne
Frau
Schultze
schon
seit
5
Jahren,
seine
Frau
sei
eine
entfernte
Ver
-
wandte von ihr.
Am
Tage
darauf
sei
sie
(Zeugin)
von
einem
Spaziergange
zurückge
-
kehrt
und
habe
im
Vorübergehen
in
das
Fenster
des
Gönczischen
Kellers
Deutsches Reich,
Sonnabend,
07. April 1900
Seite
5
hineingesehen.
Es
sei
ihr
sogleich
der
Gedanke
gekommen:
”Die
Schultzes
liegen
gewiß
da
unten
ermordet
im
Keller“.
Da
trat
von
der
gegenüberlie
-
genden
Straßenseite
Gönczi
hastig
auf
sie
zu
und
sagte
erregt:
”Frau
Schultze
ist
verreist“,
worauf
sie
entgegnete:
”Das
haben
Sie
mir
ja
schon
gestern
gesagt.“
Hierauf
drang
Gönczi
in
sie,
sie
möchte
sich
doch
einmal
die
Schultzesche
Wohnung
ansehen.
Nach
anfänglicher
Weigerung
sei
sie
auf seinen Wunsch eingegangen.
Die
Wohnung
sah
aus
wie
eine
Trödelbude.
Es
sei
ihr
aufgefallen,
daß
die
Betten
auch
in
Unordnung
waren,
wie
sie
doch
jemand,
der
ver
-
reist,
nicht
zurücklasse.
Im
Berliner
Zimmer
habe
sie
die
Hüte
der
Schultzeschen
Damen
liegen
sehen.
Da
ihr
bekannt
war,
dass
die
Damen
andere
Hüte
nicht
besaßen,
so
erschien
ihr
die
ganze
Sache
höchst
ver
-
dächtig
und
unheimlich.
Sie
habe
sich
deshalb
über
ihre
Begegnungen
mit
Gönczi
schriftliche
Aufzeichnungen
gemacht.
Noch
denselben
Abend
habe
sie
die
frühere
Portierfrau,
Frau
Murowski,
aufgesucht
und
dieser
ihre
Bedenken
mitgeteilt.
Auf
ihre
Erzählung,
Gönczi
behaupte,
daß
er
die
Frauen
Schultze
schon
seit
5
Jahren
kenne,
habe
Frau
Murowski
sofort
gesagt:
Das
ist
eine
grobe
Lüge.
Auch
Frau
Murowski
war
überzeugt,
daß
ein
Verbrechen
vorliege.
Von
der
Existenz
eines
Löwy
im
Hause
habe
sie
(Zeugin) keine Ahnung.
Vorsitzender: Was sagen Sie dazu, Gönczi?
Angeklagter:
Wenn
das
Fräulein
sagt,
ich
kenne
Frau
Schultze
schon
seit
5
Jahren,
so
hat
sie
falsch
verstanden.
Ich
habe
gesagt,
ich
bin
seit
5
Jahren hier und kenne die Frau nicht.
Maurerpolier
Habermann
bekundete:
Er
sei
am
Mordtage
gar
nicht
in
der Königgrätzer Straße gewesen.
Staatsanwalt: Kennen Sie den Löwy?
Zeuge: Nein.
Staatsanwalt:
Der
Angeklagte
behauptet,
daß
Sie
auch
um
den
Mord
ganz genau wissen.
Zeuge (entrüstet): Ich?
Gönczi
(sehr
eifrig):
Jawohl!
Dieser
Mann
sollte
die
Leichen
einmau
-
ern und auch 10.000 Mark erhalten.
Zeuge: Das ist eine ganz gemeine Lüge.
Vorsitzender:
Gönczi
hat
folgendes
behauptet:
Er
habe
am
14.
August
die
Gasleitung
revidiert
und
als
er
sich
im
ersten
Stock
befunden,
habe
er
im
Keller
ein
Poltern
gehört;
er
habe
dann
Habermann
gesehen,
der
ihm
zugerufen,
er
habe
sein
Handwerkszeug
in
den
Keller
getragen.
Nach
kurzer
Zeit
habe
er
gesehen,
daß
Hinz
und
Löwy
auf
zwei
Brettern
einen
Gegenstand
nach
dem
Keller
hinuntergeschleppt
hätten.
Er
habe
angenommen,
daß
der
Wein
angekommen
sei,
den
Hinz
im
Sande
habe
lagern wollen, tatsächlich seien es aber die Leichen gewesen.
Der
Zeuge
Habermann
hörte
diese
Erzählung
kopfschüttelnd
an
und
erklärte
diese
Behauptungen
für
”so
erlogen,
daß
es
keine
Worte
dafür
gibt“.
Gönczi:
Der
Zeuge
kennt
den
Löwy
ganz
genau,
er
kennt
ihn
16
oder
17 Jahre.
Zeuge: Ach, Unsinn!
Es
wurden
alsdann
mehrere
Bewohner
des
Hauses
Königgrätzer
Straße
35
vernommen,
die
sämtlich
bekundeten,
daß
sie
von
dem
angebli
-
chen Löwy weder etwas gesehen noch gehört haben.
Droschkenkutscherfrau
Hahn
bekundete:
Sie
habe
mit
Gönczis
Wand
an
Wand
in
der
Mühlenstraße
gewohnt.
In
der
Nacht
zum
13.
August
1897,
also
in
der
Nacht
vor
dem
Morde,
habe
sie
Frau
Gönczi
laut
weinen
gehört.
Beide
Ehegatten
haben
so
laut
und
erregt
gesprochen,
daß
sie
einen
Zank
zwischen
beiden
vermutete.
Sie
wunderte
sich
darüber,
da
ein
solcher
Zank
noch
nie
vorgekommen
war.
Gönczi
habe
seiner
Frau
immer
wieder
ener
-
gisch zugerufen, sie solle still sein.
Dienstmädchen
Temme:
Sie
war
im
Hause
Königgrätzer
Straße
35
bedienstet.
Am
Tage
nach
dem
Morde
sagte
ihr
Gönczi,
daß
die
beiden
Schultzes
nach
Paris
gereist
seien
und
ca.
6
Wochen
dort
bleiben
würden.
Wenn
sie
irgendetwas
wünsche,
solle
sie
sich
an
ihn
als
den
Verwalter
wen
-
den.
An
diesem
Tage
abends
habe
sie
Gönczi
nochmals
gesehen,
als
er
die
Treppenlampen anzündete.
Gönczi:
Ich
kenne
das
Fräulein
nicht,
am
Sonntag
hat
Löwy
das
Gas
angezündet.
Verteidiger
R.-A.
Fränkel:
Hat
die
Zeugin
nicht
in
der
Zeit
vom
14.
bis
20.
August
einmal
zwei
unbekannte
Männer
auf
dem
Hofe
des
Hauses
bemerkt?
Zeugin:
Ja.
Ich
frug
sie,
was
sie
wollten,
sie
versteckten
sich
aber.
Nachher
traf
ich
sie
nochmals
und
da
sagten
sie,
sie
wollten
die
Kellerwoh
-
nung im Hause mieten.
Der
frühere
Portier
des
Hauses
Königgrätzer
Straße
35,
den
die
Frau
Schultze
entließ,
weil
sie
die
Hauswartung
mit
ihrer
Tochter
allein
ausführen
wollte,
bekundete,
daß
auch
er
den
angeblichen
Löwy
nie
bemerkt
und
auch nichts von einer Liebschaft der Klara Schultze wahrgenommen habe.
Filzschuhfabrikant
Schmolling:
Er
kenne
Gönczi
vom
Müller
&
Schlitzwegschen
Geschäft
her,
wo
er
sein
Mitarbeiter
war.
Gönczi
sei
ein
Deutsches Reich,
Sonnabend,
07. April 1900
Seite
6
ruhiger,
liebenswürdiger
Mann
gewesen;
er
habe
viel
mit
ihm
verkehrt.
Am
15.
August
habe
er
Gönczi
eines
Geschäftes
wegen
aufgesucht.
Gönczi
sei
gegen
6
Uhr
nach
Hause
gekommen
und
etwas
erregt
gewesen.
Er,
Zeuge,
habe
ihn
dann
ersucht,
mit
ihm
einen
Spaziergang
nach
Treptow
zu
machen,
Gönczi
habe
dies
aber
abgelehnt
mit
dem
Bemerken,
er
müsse
nach
der
Königgrätzer
Straße,
um
das
Gas
anzuzünden.
Gönczi
habe
ihm
auch
einen
Bund
Schlüssel
gezeigt
und
gesagt:
Ich
habe
da
eine
sehr
gute
Verwalterstelle,
die
Leute
haben
mir
sogar
die
Schlüssel
zu
ihrer
Wohnung
und zu ihrem Geldschrank gegeben.
Gastwirt
Hinz
bekundete
auf
Befragen
des
Vorsitzenden,
daß
er
einen Mann namens Löwy nicht kenne.
Vorsitzender:
Hat
ein
Löwy
in
dem
Hinterzimmer
des
Gönczischen
Ladens gewohnt?
Zeuge: Ich weiß nichts davon.
Vorsitzender: Hat ein Löwy in Ihrem Lokal verkehrt?
Zeuge: Nein, niemals.
Vorsitzender: Gönczi behauptet, Sie kennen den Löwy.
Zeuge: Das ist alles Schwindel, ich kenne den Mann gar nicht.
Angeklagter
Gönczi:
Er
kennt
ihn
ganz
genau,
aber
jetzt
verleugnet
er
ihn.
Der
Zeuge
bemerkte
hierauf:
Er
habe
eine
sogenannte
”Droschken
-
kutscher-Kneipe“,
in
der
viel
Lärm
herrsche,
so
daß
er
von
den
Vorgängen
in
dem
nebenan
belegenen
Laden
des
Angeklagten
nicht
gut
etwas
habe
hören
können.
Gönczi
sei
öfters
in
seinem
Lokal
gewesen
und
habe
sich
zunächst
als
Mieter
des
Ladens,
später
als
Hausverwalter
vorgestellt.
An
dem
Laden
habe
er
das
Schild
Gönczi
u.
Co.
anmachen
lassen.
Von
dem
Compagnon habe er nie etwas bemerkt.
Als
er
seiner
Verwunderung
darüber
Ausdruck
gegeben
habe,
daß
Gönczi
so
ohne
weiteres
Hausverwalter
geworden
sei,
habe
dieser
erwi
-
dert:
Das
ist
doch
nichts
Auffälliges,
ich
kenne
ja
die
Schultzes
seit
5
Jahren.
Gönczi
habe
noch
einen
Schlüsselbund
vorgezeigt
und
gesagt,
er
besitze
sogar
die
Schlüssel
zu
der
Schultzeschen
Wohnung.
Am
14.
August,
dem
Mordtage,
sei
Gönczi
um
10
oder
11
Uhr
in
seinem
Laden
gewesen
und
habe
durch
das
Schaufenster
auf
die
Straße
geblickt.
Gegen
11
Uhr
sei
die
Klara
Schultze
von
einem
Ausgange
zurückkehrend
über
die
Straße
in
das
Haus
gegangen..
Gönczi
sei
sofort
mit
dem
Bemerken
hin
-
ausgegangen:
er
müsse
mit
dem
Fräulein
noch
etwas
wegen
des
Gases
besprechen.
Nach
zwei
Stunden
sei
dann
Gönczi
sehr
erregt
und
erhitzt
wiedergekommen
und
habe
noch
ein
Glas
Bier
getrunken,
worauf
er
in
einer Droschke nach Hause gefahren sei.
Vorsitzender:
Sie
sollen
in
Feindschaft
mit
der
alten
Frau
Schultze
gelebt haben?
Zeuge:
I
Jott
bewahre.
Ich
habe
bloß
einmal
Krach
mit
ihr
gehabt,
weil ein Faß Bier auf dem Flur ausgelaufen war.
Vorsitzender:
Sie
sollen
sie
”alte
Hexe“,
”olles
Weib“
usw.
genannt
haben?
Zeuge: I Jott bewahre.
Vorsitzender:
Am
Sonnabend,
dem
Mordtage,
soll
Löwy
zu
Ihnen
in
den
Laden
gekommen
sein
und
gesagt
haben,
Sie
sollten
drei
Glas
Bier
in
das
Hinterzimmer
des
Gönczischen
Ladens
bringen;
die
alte
und
Klara
Schultze
seien
auch
da
und
Sie
könnten,
da
Klara
auf
einige
Minuten
nach
oben
gegangen
sei,
der
Alten
ein
paar
dafür
auswischen,
daß
sie
Sie
ein
-
mal ”Mörder“ geschimpft habe.
Zeuge:
I
Jott
bewahre.
Det
is
allens
Schwindel;
der
Mensch
lügt
sich
noch unterm Jalgen durch!
Vorsitzender:
Sie
sollen
dann
mit
der
alten
Frau
Streit
angefangen
und
sie
niedergeschlagen
haben.
Darauf
sei
Klara
Schultze
in
das
Zimmer
getreten
und
in
der
Dunkelheit
hätten
Sie
diese
für
die
alte
Frau
gehalten
und nun die Klara auch totgeschlagen.
Zeuge:
I
Jott
bewahre;
det
is
ja
jräßlich.
Ich
weeß
doch
nischt.
Det
is
allens
Schwindel.
(Der
Zeuge
streckte
die
Hände
entrüstet
von
sich
und
blickte Gönczi zornig an.)
Vorsitzender: Angeklagter, was haben Sie dazu zu bemerken?
Angeklgter:
I
bitt'
schön,
Herr
Präsident,
daß
is
alles
so
wahr
als
ich
hier stehe. Das weiß Gott im Himmel.
Vorsitzender
(zum
Zeugen):
Haben
Sie
ein
Liebesverhältnis
der
Klara
Schultze irgend jemals begünstigt?
Zeuge: Niemals, ich weiß von nichts.
Der
Angeklagte,
welcher
während
der
Vernehmung
des
Zeugen
lei
-
chenblaß
geworden
war,
sprudelte
noch
einmal
seine
bekannte
Erzählung
über
den
angeblichen
Verlauf
der
Mordtat
hervor,
widersprach
sich
aber
fortwährend,
stockte
und
verlor
schließlich
ganz
den
Faden,
so
daß
der
Vor
-
sitzende
ihm
wiederholt
nachhelfen
mußte.
Der
Zeuge
Hinz
blieb
demgegenüber
entschieden
dabei,
daß
die
ganze
Erzählung
des
Angeklag
-
ten ein haarsträubendes Lügengewebe sei.
Es
folgte
darauf
die
Vernehmung
des
Schreibsachverständigen,
Sekretärs
Altrichter:
Er
habe
zunächst
die
Urschriften
der
beiden
Depe
-
schen,
die
an
Gönczi
selbst
und
an
den
Hausverwalter
Schlecht
gerichtet
waren,
verglichen.
Der
Augenschein
lehre,
daß
beide
Depeschen
von
einer
Deutsches Reich,
Sonnabend,
07. April 1900
Seite
7
Hand
herrühren.
Aber
auch
in
Betreff
der
Rechtschreibung
sei
eine
auffäl
-
lige
Übereinstimmung
vorhanden.
Dieselben
Fehler
seien
in
beiden
Depeschen
vorhanden.
Das
Wort
”Miete“
sei
in
beiden
Depeschen
”Mite“
geschrieben,
anstatt
”sparen“
schreibe
der
Absender
”Sparren“
und
die
Worte ”Wir reisen“ zeigten sich übereinstimmend als ”Wir Reisen“.
Auch
in
dem
von
Gönczi
an
die
Raffalski
gerichteten
Briefe
trete
die
Eigenheit
des
Verfassers
in
Erscheinung,
Hauptwörter
klein
und
Eigen
-
schaftswörter
groß
zu
schreiben.
Dazu
kommen
noch
eine
Anzahl
Dialektfehler,
kein
Norddeutscher
würde
sagen:
”Richten
Sie
meine
Woh
-
nung!“
Das
sei
eine
spezifisch
österreichische
Ausdrucksweise.
Er
komme
zu
dem
Schluß,
daß
die
Urschriften
der
beiden
Depeschen
von
der
Hand
des
Angeklagten
herrühren.
Die
Depeschen
seien
beide
auf
frankierte,
nicht
adressierte
Postkarten
geschrieben,
woraus
er
den
Schluß
ziehe,
daß
der
Verfasser
wahrscheinlich
ursprünglich
beabsichtigt
hatte,
eine
Postkarte
zu
schicken,
daß
die
Absendung
der
Originalschrift
ihm
aber
doch
zu
gefähr
-
lich war.
Vorsitzender: Was sagen Sie dazu, Gönczi?
Gönczi: Bitt' schön, Herr Präsident, ich hab' nix geschrieben.
Vorsitzender:
Ihre
Frau
hat
aber
doch
auch
Ihre
Handschrift
aner
-
kannt.
Gönczi:
Bitt'
schön,
Herr
Präsident,
so
a
Frau
kann
darüber
gar
nix
wissen.
Sehen
Sie,
mancher
Mensch
schreibt
wie
der
andere,
ich
will
Ihnen
15-
bis
20mal
hintereinander
einen
und
denselben
Namen
schreiben
und
er
soll
jedes
Mal
anders
ausschauen.
Ja,
auf
Handschriften
darf
man
nix
geben!
Tischlermeister
Stiller:
Er
kenne
den
Angeklagten
seit
1892;
er
habe
ihm
die
Ladeneinrichtung
in
der
Mühlenstraße
und
in
der
Königgrätzer
Straße
besorgt.
Gönczi
schulde
ihm
noch
ca.
1.400
Mark.
Gönczi
habe
ihm
unter
anderem
erzählt,
er
wolle
auch
in
der
Prenzlauer
Allee
und
in
der
Potsdamer
Straße
einen
Schuhwarenladen
einrichten.
Der
Angeklagte
habe
ferner
für
das
Hinterzimmer
des
Ladens
in
der
Königgrätzer
Straße
eine
Einrichtung
bestellt
mit
dem
Bemerken,
dort
solle
sein
Kompagnon
Löwy
wohnen,
der
ein
großer
Schuhwarenhändler
sei
und
in
Brüssel,
Boulevard
2a wohne.
Am
Tage
nach
dem
Morde
sei
plötzlich
Gönczi
bei
ihm
im
Laden
erschienen,
habe
gerufen:
”Der
'Brüsseler'
(Löwy)
ist
tot!“
Gönczi
habe
für
zirka
2.000
Mark
Kohlenaktien
der
Scaczer
Werke
und
Münchener
Brau
-
hausaktien
aus
der
Tasche
gezogen,
um
ihm
seine
Rechnung
zu
bezahlen.
Er
sei
dann
mit
Gönczi
zu
einem
Bankier
gegangen,
um
die
Papiere
zu
ver
-
kaufen,
sie
seien
sie
aber
nicht
losgeworden.
Am
18.
abends
sei
Gönczi
gegen
10
Uhr
in
großer
Aufregung
zu
ihm
gekommen
und
habe
ihn
um
500
Mark
bitten
lassen,
da
er
eine
dringende
Reise
machen
müsse.
Er,
Zeuge,
habe
sich
jedoch
verleugnen
lassen
und
Gönczi
sei
unverrichteter
Sache
wieder fortgegangen.
Handelsfrau
Adeline
Mohr:
Sie
sei
durch
Zufall
mit
Gönczi
bekannt
geworden,
als
sie
einmal
in
einer
Stehbierhalle
in
der
Potsdamer
Straße
ihre
Waren
anbot.
Gönczi
habe
ihr
von
seinem
Bier
angeboten
und
ein
Gespräch
begonnen.
Er
habe
gesehen,
daß
sie
zwei
Trauringe
trug
und
gesagt,
er
sei
auch
Witwer,
seine
Frau
sei
im
Kindbett
gestorben
und
sie
könnten
ja
öfter
miteinander
ausgehen.
Dies
sei
auch
geschehen,
sie
haben
sich
mehrfach
getroffen.
Die
Zeugin
erzählte
sodann
eine
langatmige
Geschichte,
aus
der
hervorzugehen
schien,
daß
der
Angeklagte
ihr
die
Ehe
versprochen habe.
Er
habe
eines
Tages
auch
von
ihr
erfahren,
daß
sie
wegen
großer
Schlaflosigkeit
und
Nervosität
von
Zeit
zu
Zeit
zu
Professor
Mendel
gehe
und
von
diesem
Schlafpulver
erhalte.
Gönczi,
der
ihr
seinen
Namen
genannt,
habe
sich
sehr
lebhaft
danach
erkundigt,
wie
die
Wirkung
eines
solchen
Schlafpulvers
sei,
er
habe,
als
sie
ihm
erzählte,
daß
sie
einmal
überfallen
worden
sei,
sich
genau
nach
den
Einzelheiten
erkundigt
und
als
er
hörte,
daß
sie
eine
Erbschaft
zu
erwarten
habe,
ganz
genau
sich
orien
-
tiert,
wie
hoch
sie
sei
und
wann
sie
angetreten
werden
könnte.
Der
Schlußeffekt
der
Erzählung,
die
der
Angeklagte
mit
heiterem
Gesicht
anhörte,
ging
dahin,
daß
die
Zeugin
schließlich
den
Verkehr
mit
Gönczi
auf
-
gegeben
habe,
weil
sie
es
doch
für
richtiger
hielt,
sich
nicht
wieder
zu
verheiraten.
Gönczi
erklärte
unter
schallender
Heiterkeit
des
Publikums:
Ich
kenne die Frau überhaupt nicht!
Bremser
Kielsche:
Er
wohnte
im
Hause
Mühlenstraße
7
und
kannte
Gönczi
und
dessen
Frau.
Er
sah
sie
beide
am
18.
August
1897
abends
vor
dem
Laden
stehen,
als
er
in
den
Dienst
ging,
um
von
Frankfurt
an
der
Oder
aus
einem
Güterzug
zu
begleiten.
Zu
seinem
größten
Erstaunen
habe
er
um
2
Uhr
nachts,
also
vier
Stunden
später,
Gönczi
und
dessen
Frau
auf
dem
Bahnsteig
in
Frankfurt
an
der
Oder
stehen
sehen.
Er
sei
auf
Gönczi
zugegangen;
dieser
sei
aber
schnell
in
den
Wartesaal
gelaufen.
Hier
habe
er
ihn
später
aufgesucht.
Gönczi
habe
aber
so
getan,
als
kenne
er
ihn
nicht.
Erst
als
Frau
Gönczi
zu
ihm
gesagt
habe:
Das
ist
ja
unser
Nachbar,
der
Herr
Kierschel
habe
Gönczi
langsam
gesagt:
Ach
so,
guten
Abend,
Herr
Kielsche!
Deutsches Reich,
Sonnabend,
07. April 1900
Seite
8
Vorsitzender: Ist Ihnen das nicht aufgefallen?
Zeuge:
Ja,
ich
erklärte
mir
sein
Verhalten
damit,
daß
er
”gerückt“
wäre,
weil
er
seine
Miete
nicht
zahlen
konnte.
Gönczi
habe
sich
noch
bis
gegen
6
Uhr
morgens
in
Frankfurt
(Oder)
aufgehalten
und
ist
über
Kottbus
abgefahren.
Den
Bahnhofsportier
Lehmann
hat
der
Angeklagte
nach
dem
schnellsten
Zuge
nach
Brüssel
und
Paris
gefragt.
Wir
hielten
dem
Ange
-
klagten
sodann
vor,
welchen
Umweg
er
gemacht
habe,
indem
er
erst
nach
Frankfurt
(Oder)
gefahren
sei;
Gönczi
habe
erwidert,
er
habe
eine
kranke
Schwester
in
Frankfurt,
die
er
noch
besuchen
wollte.
Dem
Schaffner
Thiel
und
dem
Geschäftsreisenden
Kowalski
hat
der
Angeklagte
erzählt,
er
wolle
zur Weltausstellung nach Brüssel.
Die
Ehefrau
des
Gastwirts
Hinz
wies
ebenfalls
die
Behauptung,
daß
ihr
Mann
der
Täter
gewesen
sei,
mit
großer
Entrüstung
zurück.
Auch
den
Löwy kenne sie nicht.
Vorsitzender: Angeklagter, was sagen Sie dazu?
Gönczi:
I
bitt'
schön,
Herr
Präsident,
Sie
woaß
olles,
Sie
wird
aber
doch net ”Ja“ sagen. Sie leignet eben olles, dös glaub' i schon!
Staatsanwalt:
Frau
Zeugin,
hat
Ihr
Mann
sich
mit
der
Frau
Schultze
schlecht gestanden?
Zeugin: Nein, im Gegenteil.
Vorsitzender:
Gönczi
behauptet
ferner,
Ihr
Mann
habe
sich
Montag
Abend
gewundert,
daß
Gönczi
noch
keine
Nachricht
von
den
Damen
habe.
Gönczi
habe
erwidert:
Ach
was,
die
hast
du
ja
längst
massakriert.
Darauf
hätten Sie zu Ihrem Manne gesagt: So halte doch das Maul!
Zeugin: Das ist alles nicht wahr.
Sanitätsrat
Dr.
Mittenzweig
und
Dr.
Schulz
legten
sodann
die
oberen
Schädelhälften
der
beiden
ermordeten
Frauen
vor
und
zeigten
die
Art
der
nach
dem
Kopf
geführten
Schläge.
Als
die
beiden
Sachverständigen
auf
den
Angeklagten
zutraten,
um
auch
diesem
die
durchlöcherten
Schädelde
-
cken
vorzuhalten,
streckte
er
abwehrend
die
Hände
aus
und
sagte
mit
lächelnder
Miene:
I
bitt'
schön,
i
woaß
ja
doch
von
nix,
was
geht
doas
mi
an!
Ein
Geschworener
bat,
den
Angeklagten
zu
untersuchen,
ob
er
genügend
kräftig
erscheine,
die
beiden
Frauen
niederzuschlagen.
Sanitätsrat
Mitten
-
zweig
bejahte
diese
Frage
auf
Grund
einer
kurzen
Untersuchung
der
Arme
des Angeklagten.
Der
Untersuchungsrichter,
Landgerichtsrat
Herr,
bekundete:
Der
Angeklagte
habe
in
einer
Weise
gelogen,
wie
es
ihm
noch
niemals
vorge
-
kommen
sei.
Alle
Versuche,
die
Existenz
und
den
Aufenthalt
des
mysteri
-
ösen
Löwy
und
dessen
Schwester
zu
ermitteln,
seien
gescheitert.
Der
Angeklagte
sei
nicht
weiter
gekommen,
als
daß
die
Schwester
in
der
Nähe
der
Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche
wohnen
solle
und
daß
bei
seinen
Ver
-
suchen,
die
Wohnung
der
Schwester
festzustellen,
immer
merkwürdiger
-
weise
Herr
Löwy
hindernd
dazwischengetreten
sei.
Der
Untersuchungsrich
-
ter
gab
noch
eine
Reihe
klassischer
Beispiele
von
der
Lügenhaftigkeit
des
Angeklagten.
Letzterer
hatte
behauptet,
daß
er
die
beiden
Frauen
um
4
Uhr
nach
dem
Bahnhofe
begleitet
habe.
Gegen
den
Vorhalt,
daß
damals
der
Zug
nach
Hannover
erst
um
7
Uhr
abging,
hatte
der
Angeklagte
nur
nichts
sagende
Einwände.
Auch
bei
anderen
Punkten
konnte
ihm
die
absolute
Unwahrheit seiner Behauptungen sofort vorgehalten werden.
Er
(Zeuge)
habe
sich
die
denkbar
größte
Mühe
gegeben,
alles
aufzu
-
klären,
und
obgleich
er
selbst
fest
davon
überzeugt
war,
daß
alle
Angaben
des
Angeklagten
über
den
angeblichen
Löwy
pure
Lügen
waren,
habe
er
eifrigst
geforscht,
ob
nicht
doch
ein
Körnchen
Wahrheit
dabei
sei.
So
habe
er
sich
einen
Plan
von
Brüssel
kommen
lassen
und
mit
dem
Kriminalkom
-
missar
von
Kracht
sich
alle
erdenkliche
Mühe
gegeben,
um
festzustellen,
wo
Gönczi
in
Brüssel
gewohnt
habe.
Und
das
Ergebnis
sei
gewesen,
daß
bei
der
Abführung
Gönczi
zu
dem
Gerichtsdiener
gesagt
haben
soll:
Wenn
die
denken,
sie
können
mich
mit
so
was
fangen,
dann
irren
sie
sich.
Der
Zeuge
schloß
mit
der
nochmaligen
Versicherung,
daß
sämtliche
von
ihm
abgefaßten
Protokolle
nicht
mehr
und
nicht
weniger
enthalten,
als
die
Ver
-
nehmungen Gönczis tatsächlich ergeben haben.
Gönczi,
vom
Vorsitzenden
aufgefordert,
sich
zu
äußern,
erklärte
in
höchst
theatralischer
Weise,
heftig
gestikulierend
und
mit
vibrierender
Stimme, daß er nur das, was er bisher gesagt habe, wiederholen könnte.
”Als
ich
zum
Herrn
Untersuchungsrichter
hineingeführt
wurde,
emp
-
fing
mich
dieser
mit
den
Worten:
Sie
sind
der
Mörder!
Sie
müssen
ein
Geständnis
ablegen!
Ich
sagte:
Nein,
ich
kann
kein
Geständnis
ablegen,
ich
bin
kein
Mörder.
Darauf
hab'
ich
alles
erzählt,
wie's
gewesen
ist.
Der
anwe
-
sende
Polizei-Kommissar
hat
gesagt,
es
seien
alles
Lügen.
Ich
habe
mich
beschwert,
aber
es
hat
geheißen:
Halten
Sie's
Maul,
antworten
Sie,
wenn
man
Sie
fragt!
Es
ist
nicht
alles
aufgeschrieben
worden,
was
ich
gesagt
habe.
Der
Protokollführer
hat
nicht
geschrieben,
sondern
mich
nur
ange
-
schaut,
so
daß
ich
ihm
sagte:
Ich
bin
nicht
so
dumm,
wie
du
mich
anschaust!
Wenn
ich
wirklich
der
Mörder
wär',
hätt'
ich
das
schon
längst
gesagt.
Seit
fünf
Monaten
schon
sitze
ich
in
Eisen,
wenn
ich
esse,
muß
ich
mit
dem
Mund
in
die
Schüssel,
ist
denn
das
nicht
eine
Schande!
Ich
bitte,
daß
das
erste
mit
mir
aufgenommene
Protokoll
verlesen
wird.
Daraus
geht
Deutsches Reich,
Sonnabend,
07. April 1900
Seite
9
hervor,
daß
nicht
alles
aufgeschrieben
wurde.
Jedes
Wort,
was
ich
gesagt
hab', hätt' aufgeschrieben werden müssen. Es handelt sich hier nicht um ein
Glas
Bier,
sondern
um
die
Todesstrafe!
Der
Herr
Staatsanwalt
hat
mir
gesagt,
daß
ein
Brief
eingelaufen
sei
aus
Brasilien,
wo
sich
einer
als
Mörder
bezeichnet,
der
Mann
muß
doch
hergeschafft
werden
bei
so
einer
schweren
Sach'!
Ich
hab'
meinem
Doktor
Rechtsanwalt
meine
ganzen
Protokolle
übergeben
und
ich
bitte,
daß
die
verlesen
werden.
Da
werden
Sie
sehen,
daß
alles
stimmt,
was
ich
gesagt
habe
von
vornherein
und
dass
ich
nicht
gelogen habe.“
Das
Protokoll
ist
60
Seiten
lang.
Unter
heftigen
Handbewegungen
und
mit
vor
Erregung
gesteigerter
Stimme
beteuerte
Gönczi
wiederholt,
daß
er die Mordtat nicht begangen habe.
Staatsanwalt:
Vom
General-Konsul
in
Rio
de
Janeiro
ist
am
20.
Februar
ein
Schreiben
eingegangen.
Danach
hatte
ein
Mann
namens
Louis
Schulz
an
das
Konsulat
einen
Brief
gerichtet,
in
welchem
es
hieß:
”Ich
habe
einen
schweren
Mord
auf
dem
Gewissen,
den
ich
mit
dem
Gönczischen
Ehepaar
in
Berlin
verübt
habe.
Herr
Gönczi
hat
sein
Wort
mir
gegenüber
nicht
gehalten.
Der
Berliner
Magistrat
hatte
auf
meine
Person
keinen
Steck
-
brief
erlassen,
aber
meine
Reue
läßt
es
nicht
zu,
daß
ich
schweige.
Sie
werden
die
Reue
eines
schwer
beladenen
Herzens
nicht
aufgeben
und
mein Gewissen aufhelfen.“
Der
Staatsanwalt
erklärte,
daß
bei
jeder
Mordsache
bekanntlich
anonyme
Briefe
wie
Pilze
aus
der
Erde
schießen.
Bei
der
letzten
Mordsa
-
che,
die
er
zu
bearbeiten
hatte,
seien
18
Briefe
bei
ihm
eingetroffen,
in
denen
sich
18
Mörder
gemeldet
hätten.
Obgleich
er
nun
auf
einen
Brief,
der
mit
Louis
Schulz
unterzeichnet
sei,
nichts
gebe,
habe
er
doch
noch
weitere
Nachforschungen
veranlaßt,
da
gleichzeitig
mit
der
Selbstanzeige
des
Louis
Schulz
in
Rio
de
Janeiro
ein
Brief
eingegangen
war,
auf
dem
der
Schorn
-
steinfegermeister
Heinrich
in
Sonderburg
als
Absender
bezeichnet
war.
Er
habe
deshalb
den
Kriminal-Kommissar
von
Kracht
mit
Ermittelungen
beauf
-
tragt.
Es
sei
festgestellt
worden,
daß
dieser
Schulz
im
Jahre
1895
nach
Brasilien
ausgewandert
sei
und
während
der
in
Frage
kommenden
Zeit
sich
in Bahia aufgehalten habe. Damit erledigte sich die Selbstbezichtigung.
Staatsanwalt
Plaschke
bemerkte
dazu:
Auch
in
dem
vorliegenden
Verfahren
haben
sich
18
Mörder
gemeldet.
Es
ist
eine
bekannte
Tatsache,
daß
sich
bei
fast
jedem
Morde
angebliche
Täter
melden,
ohne
daß
man
zu
ermitteln
vermag,
was
sie
dazu
treibt.
Im
vorliegenden
Falle
scheint
der
Schulz
sich
freie
Überfahrt
haben
verschaffen
wollen.
Von
einer
Täterschaft
kann nicht die Rede sein.
Angeklagter
Gönczi:
I
bitt'
schön,
wie
kann
i
der
Täter
sein,
wann
sich
der Mann da meldet. Der muß doch herübergeholt werden.
Vorsitzender:
Na,
das
erledigt
sich
ja
schon
dadurch,
daß
der
Mann
zu der Zeit, als die Tat begangen wurde, sich in Brasilien befand.
Eine
Reihe
weiterer
Zeugen
bekundete,
daß
der
Angeklagte
einige
Tage
vor
dem
Morde
erzählt
habe,
er
habe
in
der
Lotterie
gewonnen,
er
besitze
eine
reiche
Tante,
die
in
Hannover
wohne
und
im
Sterben
liege
usw.,
alles
Dinge,
die
erklären
sollten,
woher
er
plötzlich
viel
Geld
habe.
Andererseits
hat
er
durch
diese
Erzählungen
auch
verschiedene
Leute
ver
-
anlaßt, ihm Kredit zu geben.
Schlosser
Hast:
In
der
Wirtschaft
des
Gastwirts
Schinke
habe
er
wie
-
derholt
einen
Mann
namens
Lewy
gesehen.
Dieser
war
30
Jahre
alt,
von
großer
Statur
und
hatte
einen
hellen
Schnurrbart.
Der
Mann
habe
Franzö
-
sisch gesprochen und sei viel im Auslande gereist.
Staatsanwalt
Plaschke:
Ich
habe
inzwischen
Ermittelungen
anstellen
lassen
und
kann
mitteilen,
daß
es
sich
um
den
Geschäftsreisenden
Levy
handelt,
der
30
Jahre
alt
und
in
Hessen
geboren
ist.
Der
Mann
spricht
meh
-
rere Sprachen, auch Französisch und wohnte bei dem Gastwirt Schinke.
Gastwirt
Schinke
bestätigte,
daß
ein
Mann,
namens
Levy,
bei
ihm
gewohnt
habe,
aber
vollständig
unverdächtig
sei.
Auch
der
Angeklagte
Gön
-
czi
erklärte,
daß
dieser
Mann
schon
seines
jugendlichen
Alters
wegen
nicht
in Betracht kommen könne.
Am
letzten
Verhandlungstage
fragte
der
Vorsitzende
den
Angeklag
-
ten, ob er an einen der Zeugen noch eine Frage zu richten habe.
Gönczi:
Jawohl,
Herr
Präsident,
bitt'
schön,
lassen's
mich
ausreden.
(erregt.)
Heit
is
der
letzte
Tag
und
der
letzte
Termin,
wo
ich
Ihnen
kann
meine
Unschuld
beweisen.
Ich
weiß,
was
auf
meinem
Herzen
liegt,
und
weiß,
daß
mein
Gewissen
frei
ist
und
rein!
Jeder
hat
mich
zwischen
9
und
10
Uhr
gesehen,
alles,
was
die
übrigen
Zeugen
gesprochen
haben,
ist
nur
ein
Schauspiel,
das
ist
gar
nix
wert,
hier
kommt's
nur
darauf
an:
Wer
hat
die
Tat
begangen?
I
hab's
nicht
getan!
Ich
bin
in
der
ganzen
Welt
als
Raubmör
-
der
ausgeschrieen
worden
und
habe
nur
zu
meinem
Gott
bitten
können:
Lieber
Gott,
verlaß
mich
nicht.
Er
hat
mich
nicht
verlassen,
er
hat
mich
beschützt,
indem
er
mir
Verstand
und
Geist
belassen
hat,
der
liebe
Gott
steht
mir
bei.
Ich
hab'
ihn
auch
für
meine
Ehefrau
gebeten.
(Frau
Gönczi
fing
an
zu
schluchzen.)
Die
arme
Frau
ist
auch
2
Jahre
unter
dem
furchtba
-
ren
Druck
gestanden,
sie
ist
krank
und
schwach
darüber
geworden.
Bitt'
schön,
lassen's
mich
ausreden.
Es
ist
möglich,
daß
der
Herr
Rechtsanwalt
mir
meine
Ehre
wiedergibt,
aber
es
ist
schwer!
Schaun's,
der
Löwy,
der
Deutsches Reich,
Sonnabend,
07. April 1900
Seite
10
existiert.
Habermann
weiß
doch,
daß
Löwy
ein
Liebesverhältnis
mit
Fräulein
Klara
gehabt
hat.
(Mit
lauter
Stimme.)
Löwy
existiert,
wenn
man
ihn
nur
suchen
will!
I
hab'
auch
zwei
Jahre
lang
nicht
existiert,
trotzdem
die
Polizei
meine
Photographie
hatte,
man
hat
mich
gesucht
und
nicht
gefunden.
I
hab'
dem
Polizeikommissär
gesagt,
er
soll
die
Personalbeschreibung
vom
Löwy
aufnehmen,
da
hat's
aber
geheißen:
Quatsch!
Ich
möcht'
noch
mal
meinen
ehrlichen
Namen
wiederhaben!
Jetzt
machen
mich
alle
schlecht!
Haber
-
mann
und
selbst
Stiller.
Aber
Petrus
hat
auch
den
Herrn
Jesus
Christus
verleugnet, und so verleugnen die Zeugen jetzt mich.
Vorsitzender:
Angeklagter,
es
handelt
sich
jetzt
lediglich
darum,
ob
Sie noch Fragen haben.
Gönczi:
Bitt'
schön,
Herr
Präsident,
lassen's
mich
ausreden.
Sehn
Sie,
i
bin
beschuldigt,
daß
in
mein'
Hemd
Blutflecke
gewesen
seien,
und
sehn
Sie,
da
kam
Herr
Jeserich
und
hat
nix
von
Blut
im
Hemd
gesehen.
Sehn
Sie,
nix
kann
mir
bewiesen
werden,
daß
ich
die
Tat
begangen
hab'.
Es
wird
die
Zeit
kommen,
wo
ich
noch
sprechen
werde.
Weiter:
Habermann
sagt,
es
ist
nix
wahr,
daß
die
Frau
Schultze
mir
die
Schlüssel
gegeben
hat,
und
doch
ist's
wahr!
Wenn
ich
die
Tat
hätte
machen
wollen,
hätte
ich
sie
in
die
enge
Wohnung
umbringen
können;
dann
hätte
ich
alles
zusammenge
-
kramt
und
wäre
davongegangen
und
hätte
nicht
am
16.
und
17.
August
Stiller
noch
die
Rechnung
bezahlt.
Wie
ich
es
sag',
so
ist
es!
Das
sag'
ich
vor
den
Herrn
Präsidenten
und
die
Herren
Geschworenen
und
das
Publi
-
kum
und
die
ganze
Welt!
Sehn's,
ich
bin
nach
Brüssel
gekommen.
Keiner
hat
mich
kennt,
hab'
keine
Papiere
g'habt,
hab'
nicht
gekannt
Französisch
und
nicht
Belgisch
und
hab'
doch
vier
Wochen
Aufnahme
gefunden.
Warum?
Weil
mich
Löwy
hat
hingebracht!
Meiner
Frau
hab'
ich
gesagt,
wenn
dich
der
Richter
wird
fragen,
dann
sagst
du
schwarz,
wenn's
schwarz
ist,
und
weiß,
wenn's
weiß
ist.
Aber
arme
Frau
hat
sagen
müssen,
was
Untersuchungsrichter
wollte,
wenn
sie
nicht
hungern
wollte.
Und
so
hat
die
Arme
auch
gesagt,
das
Telegramm
sieht
meiner
Handschrift
ähnlich.
Was
soll
das
arme
Weib
auch
sagen?
Gewiss
sieht's
ähnlich,
ich
hab's
aber
nicht geschrieben.
Vorsitzender:
Nun,
Gönczi,
wenn
Sie
sich
noch
verteidigen
wollen,
so
werden Sie später noch das Wort erhalten. Jetzt setzen Sie sich!
Nach
Verlesung
der
Schuldfragen
nahm
Staatsanwaltschaftsrat
Plaschke
das
Wort:
Meine
Herren
Geschworenen!
Ich
glaube
nicht,
daß
in
diesem
Augenblick
bei
Ihnen
noch
ein
einziger
darüber
zweifeln
kann,
wel
-
che
Anträge
ich
Ihnen
unterbreiten
werde
und
wie
die
Ihnen
vorgelegten
Fragen
zu
beantworten
sind.
Und
weil
ich
glaube,
daß
Sie
ganz
genau
wis
-
sen,
was
ich
tun
werde
und
muß,
so
will
ich
-
abweichend
von
den
sonsti
-
gen
Gepflogenheiten
-
meine
Schlußanträge
gleich
voranstellen:
Ich
beantrage,
bezüglich
der
Frau
Gönczi
die
Schuldfrage
zu
verneinen
und
den
Angeklagten
Gönczi
des
Raubes
und
des
Mordes
in
zwei
Fällen
für
schuldig
zu
erklären.
Man
kann
den
Satz
aufstellen,
daß
jedermann,
also
auch
der
Angeklagte,
ein
gewisses
Anrecht
darauf
hat,
daß
seine
Angaben
so
lange
für
wahr
und
glaubwürdig
gehalten
werden,
als
ihm
das
Gegenteil
nicht
klipp
und
klar
nachgewiesen
wird.
Da
die
Erfahrung
dafür
spricht,
daß
der
Angeklagte,
der
nichts
zu
verbergen
hat,
die
Wahrheit
sagt,
so
habe
ich
es
in
anderen
Strafprozessen
so
gehalten,
daß
ich
die
Angaben
der
Ange
-
klagten
immer
genau
prüfte,
ob
deren
Angaben
wahr
oder
unwahr
oder
bewußt
unwahr,
das
heißt
erlogen
waren.
Würde
ich
nun
diesen
Weg
auch
heute
gehen
und
Punkt
für
Punkt
beleuchten
und
erörtern,
in
denen
der
Angeklagte
bewußt
die
Unwahrheit
gesagt
hat,
so
würde
aus
Abend
und
Morgen
der
nächste
Tag
werden.
Ich
werde
deshalb
nur
die
Punkte
in
den
Aussagen
des
Angeklagten
berühren,
die
für
die
Schuldfragen
von
Bedeu
-
tung
sind.
Haben
wir
auch
den
Angeklagten
als
Lügner
kennen
gelernt,
so
bitte
ich
Sie
doch,
rechnen
Sie
dies
ihm
nicht
zu
hoch
an.
Seine
Lügen
sind
ihm
in
Fleisch
und
Blut
übergegangen,
er
stellt
selbst
die
unwesentlichsten
Punkte
in
Abrede.
Es
ist
ihm
kaum
möglich,
die
Wahrheit
zu
sagen,
obgleich
er
wissen
muß,
daß
er
dadurch
jede
Sympathie
bei
seinen
Rich
-
tern
verlieren
muß.
Aber
wie
gesagt,
ich
bitte
Sie,
rechnen
Sie
ihm
dies
nicht
zu
hoch
an,
Sie
sollen
nicht
über
den
Lügner,
sondern
über
den
Ver
-
brecher
urteilen.
Es
sind
ferner
über
diese
Angelegenheit
viele
Nachrichten
durch
die
Presse
gegangen,
welche
der
Wahrheit
nicht
entsprachen.
Ich
will
annehmen,
daß
die
Berichterstatter
zum
Teil
falsch
unterrichtet
waren,
aber
andernteils
sollte
wohl
die
Sensationslust
des
Publikums
dadurch
befriedigt
werden.
Der
Phantasie
der
Reporter
können
ja
keine
Schranken
gezogen
werden.
Ich
bitte
Sie
also,
alle
diese
Zeitungsnotizen
aus
Ihrem
Gedächt
-
nisse
zu
verbannen
und
Ihrem
Urteilsspruche
nur
das
zugrunde
zu
legen,
was Sie in dieser Verhandlung gehört haben.
Der
Staatsanwalt
erörterte
hierauf
in
eingehender
Weise
den
Tatbe
-
stand
und
fuhr
alsdann
fort;
Ich
gebe
zu,
daß
die
Städte
Berlin
und
Brüssel
eine
Menge
Personen
beherbergen,
welche
Löwy
heißen.
Löwy
ist
eine
Art
internationaler
Name.
Ich
habe
vielfach
Zuschriften
erhalten,
die
auf
die
Spur
helfen
sollten;
ich
habe
sie
aber
nicht
beachtet,
denn
es
ist
ein
eigen
Ding
um
solche
Zuschriften.
Oftmals
wollen
sie
nicht
die
Wahrheit
zutage
fördern,
sondern
sind
durch
andere
Motive
hervorgerufen.
Manche
der
Schreiber
wollen
Zeugen-Gebühren
erlangen
oder
ähnliches,
ja
es
ist
mir
in
Deutsches Reich,
Sonnabend,
07. April 1900
Seite
11
meiner
Praxis
schon
vorgekommen,
daß
es
sich
um
die
Erlangung
einer
Eintrittskarte
handelte.
(Heiterkeit.)
Auch
der
Herr
Verteidiger
hat,
wie
ich
glaube,
mit
derartigen
Zuschriften
oder
anderen
Anregungen
nicht
sehr
gute
Erfahrungen
gemacht.
Mir
kam
es
nicht
darauf
an,
jene
unbekannten
Per
-
sonen
zu
ermitteln,
in
deren
Begleitung
der
Angeklagte
ja
von
verschiede
-
nen
Zeugen
gesehen
worden
ist,
sondern
auf
jenen
Löwy,
der
als
Täter
in
Frage
kommen
soll.
Dieser
Löwy
ist
aber
von
niemand
gesehen
worden,
denn
er
existiert
überhaupt
nicht.
Mit
den
Zeugen,
auf
die
der
Angeklagte
sich
berufen
hat
und
die
nachträglich
geladen
sind,
ist
wirklich
kein
Staat
zu
machen.
Und
nun
das
angebliche
Liebesverhältnis
zwischen
Löwy
und
der
Klara
Schultze!
Es
ist
gar
nicht
einzusehen,
warum
die
alte
Frau
Schultze
so
erzürnt
gegen
diesen
doch
augenscheinlich
ganz
gut
situierten
Freiers
-
mann
gewesen
sein
sollte.
Der
Mann
war
doch
auch
so
genügsam,
daß
er
im
Hinterzimmer
kampierte
und
auf
einer
Bettstelle
schlief,
die
nur
Matratze
und
Keilkissen
hatte.
Und
treu
muß
er
doch
auch
gewesen
sein,
denn
nach
Gönczis
Behauptung
hat
er
ja
17
Jahre
um
die
Gunst
der
Klara
Schultze,
die
so
sehr
begehrenswert
doch
nicht
mehr
war,
gebuhlt.
Warum
also
sollte
die
alte
Frau
Schultze
die
Liebeswerbung
des
Löwy
nicht
gewollt
haben?
Nein,
das
ist
alles
offenbarer
Schwindel!
Kein
Mensch
hat
im
Hause
von
der
Existenz
des
Löwy
auch
nur
eine
Ahnung
gehabt,
und
was
die
Beschuldi
-
gungen
des
Angeklagten
gegen
Hinz
betrifft,
so
sind
diese
zu
meiner
Freude
sowohl
vom
Gerichtshofe,
als
auch
von
der
Verteidigung
als
durch
-
aus
hinfällig
anerkannt
worden,
denn
sonst
hätte
Hinz
nicht
widerspruchslos
vereidigt
werden
können!
Alle
Angaben,
die
der
Angeklagte
über
den
angeblichen
Löwy
vorgebracht
hat,
sind
ebenso
unwahr,
wie
seine
Behaup
-
tung,
daß
Löwy
bei
der
Abreise
im
Wartesaal
des
Bahnhofs
Friedrichstraße
mit
ihm
zusammen
war
und
sogar
die
Reise
nach
Brüssel
mitgemacht
habe.
Davon
weiß
kein
Mensch
etwas,
nicht
einmal
seine
eigene
Frau.
Ganz
widerspruchsvoll
sind
auch
die
Angaben,
die
er
in
Bezug
auf
Stiller
und
dessen
Kenntnis
von
der
Existenz
des
Löwy
gemacht
hat.
Allerdings
hat
er
Herrn
Stiller
schon
im
Juni
von
einem
Löwy
erzählt.
Das
läßt
sich
aber
ganz
einfach
daraus
erklären,
daß
er
bei
Herrn
Stiller
damals
schon
sehr
in
der
Kreide
stand
und
nun,
wo
er
noch
eine
Ladeneinrichtung
auf
Kredit
haben
wollte,
zu
dem
Schwindel
griff,
Herrn
Stiller
zu
sagen,
daß
er
einen
solventen
Kompagnon
aus
Brüssel
habe.
Ist
aber
Löwy
eine
fingierte
Person,
so
wird
die
Situation
für
Gönczi
furchtbar
ernst
und
das
Belastungs
-
material
für
ihn
ist
so
erdrückend,
daß
man
sich
wundern
muß,
wie
er
noch
die
Stirn
haben
kann,
sich
gegen
dieses
Belastungsmaterial
aufzulehnen.
Die
Mordtat
muß
am
Sonnabend,
14.
August,
etwa
in
der
Zeit
zwischen
9
und
11
Uhr
vormittags
geschehen
sein.
Genaue
Zeitangaben
sind
natürlich
unmöglich.
An
demselben
14.
August
hat
der
Angeklagte
dem
Dr.
Schlesin
-
ger
schon
gesagt:
die
Frauen
seien
verreist.
Er
mußte
daher
an
diesem
Tage
schon
wissen,
daß
die
Frauen
auf
Nimmerwiederkehr
verschwunden
waren.
Das
unstete
Droschkenfahren
des
Angeklagten
am
14.
August
ist
ganz
durchsichtig;
er
wollte
ein
Alibi
haben
und
schleunigst
an
den
Ort
der
Tat
zurückkehren,
um
alles,
was
dort
passiert
ist,
beobachten
zu
können.
Das
ist
die
Lösung
der
Sache.
Schon
am
13.
August
hatte
der
Angeklagte
dritten
Personen
mitgeteilt:
die
Frauen
hätten
sich
so
geärgert,
daß
sie
zu
verreisen
gedächten.
Er
hat
daher
schon
am
13.
die
Absicht
gehabt,
die
Frauen
aus
der
Welt
zu
schaffen,
und
diesen
Moment
mögen
die
Geschwo
-
renen
festhalten.
Die
Beweisaufnahme
hat
klipp
und
klar
ergeben,
daß
der
Angeklagte
schon
am
14.
vormittags
die
erfolgte
Abreise
der
Frauen
nach
Brüssel
und
Paris
mitgeteilt,
während
nach
seiner
Darstellung
die
Abreise
erst
am
14.
abends,
und
zwar
nach
Hannover
stattgefunden
hat.
Am
14.
hat
sich
dann
der
Angeklagte
im
Besitz
der
Schlüssel
befunden,
am
15.
war
er
schon
im
Besitz
von
Brauhaus-Aktien
und
der
Sclascaer
Kohlen-Obligatio
-
nen.
Da
seine
Behauptung,
daß
er
sie
am
15.
von
Löwy
erhalten
habe,
durch
die
Beweisaufnahme
als
falsch
erwiesen
ist,
so
ergibt
sich
als
Fazit:
der
Angeklagte
hat
die
Wertpapiere
schon
am
14.
geraubt
und
der
Mord
ist
bereits
am
14.
August
geschehen.
Dann
kommen
die
Kisten
in
Betracht.
Es
ist
wohl
zu
beachten,
daß
der
Angeklagte
schon
am
15.
August
morgens
von
dem
Beschaffen
von
Erde
gesprochen
hat.
Als
Pflugmacher
den
Keller
geöffnet
hat,
sah
er
zwei
längliche
Kisten
stehen,
die
jedenfalls
damals
noch
leer
waren.
Am
16.
August
hat
sich
nach
dem
Zeugnis
der
Frau
Gön
-
czi
diese
mit
ihrem
Manne
nach
der
Königgrätzer
Straße
begeben
und
zwei
schwere
Kisten
von
dem
Hinterzimmer
nach
dem
Keller
getragen.
Der
Angeklagte
sagte
nun,
wie
er
das
Kunststück
habe
fertig
bringen
können,
da
er
in
der
Zwischenzeit
gar
nicht
in
der
Königgrätzer
Straße
war.
Das
ist
eine
Unwahrheit!
Durch
seine
eigene
Ehefrau
und
die
Zeugin
Raffalski
ist
nachgewiesen,
daß
er
sich
am
Sonntag,
15.
August,
auf
dem
Spaziergange
von
ihnen
getrennt
hat
und
erst
9
Uhr
abends
zurückgekehrt
ist;
die
Haus
-
bewohner
haben
ihn
am
Sonntag
gesehen,
als
er
Gas
anzündete,
und
es
steht
somit
fest,
daß
er
am
Sonntag
in
dem
Hause
war.
Er
hat
die
Zeit
am
Sonntag
benutzt,
um
die
leeren
Kisten
hinauf
zu
schaffen
und
die
Leichen
hineinzupacken.
Der
Mangel
an
Leichengeruch,
den
der
Angeklagte
ins
Feld
führt,
will
gar
nichts
zu
seinen
Gunsten
beweisen.
Nun
kommt
die
Erde.
Es
ist
festgestellt,
daß
Hinz
an
der
Beschaffung
der
Erde
keinerlei
Interesse
hatte,
vielmehr
der
Angeklagte
diese
bestellt
und
in
den
Keller
hat
Deutsches Reich,
Sonnabend,
07. April 1900
Seite
12
schaufeln
lassen.
Am
16.
August
passierten
allerlei
interessante
Dinge:
die
Hingabe
der
geraubten
Papiere
an
Stiller,
der
gemeinschaftliche
Gang
nach
dem
Bankier,
auf
dessen
Frage
der
Angeklagte
behauptete,
er
habe
die
Wertpapiere
schon
lange,
und
die
Äußerung
Gönczis
an
den
Bankier,
daß
er
die
Papiere
nicht
verkaufen
wolle,
sondern
sie
für
einen
Bekannten
in
Brüssel
bewahren
müsse.
Er
ahnte
wahrscheinlich,
daß
nach
Bekanntwer
-
den
der
Mordtat
der
Verbleib
der
Papiere
ermittelt
und
er
bald
entdeckt
werden
konnte,
und
deshalb
hielt
er
es
für
ratsamer,
die
Papiere
bei
Stiller
in
Verwahrung
zu
belassen
und
sich
darauf
von
diesem
ein
Darlehn
geben
zu
lassen.
Ein
solches
hat
er
ja
auch
am
17.
in
Höhe
von
400
Mark
erhal
-
ten.
Dazu
kommt
am
17.
August
die
charakteristische
Szene
mit
der
Zeugin
Frank,
die
aus
der
Begegnung
mit
dem
Angeklagten
und
aus
der
gemein
-
schaftlichen
Besichtigung
der
Schultzeschen
Wohnung
sofort
das
Gefühl
erhielt,
daß
ein
Verbrechen
begangen
sein
müsse.
Im
Laufe
des
18.
August
ist
die
Sache
bei
der
Polizei
anhängig
gemacht
worden,
der
Angeklagte
hatte
Wind
davon
bekommen,
und
dies
ist
der
Schlüssel
zu
seiner
Flucht
am
18.
abends.
An
diesem
Tage
ist
Gönczi
früh
7
Uhr
weggegangen
und
nach
Frau
Gönczis
Bekundung
erst
nach
7
3/4
Uhr
abends
wiedergekom
-
men.
Nach
Ausweis
des
Kursbuches
reicht
diese
Spanne
Zeit
vollkommen
aus,
um
nach
Hannover
zu
fahren,
dort
die
Depesche
aufzugeben
und
um
7
Uhr
wieder
hier
zu
sein.
Ist
dies
aber
möglich,
so
entschwindet
der
Gedanke
vollkommen,
daß
eine
dritte
Person
an
dem
Morde
beteiligt
sein
könnte.
Die
Aussagen
der
Raffalski,
wonach
der
Angeklagte
am
18.
nach
-
mittags
vor
seinem
Laden
gesessen
habe,
sind
nicht
beweiskräftig,
denn
während
alle
übrigen
Zeugen
in
dieser
Mordsache
nach
bestem
Wissen
und
Gewissen
die
reine
Wahrheit
gesagt
haben,
ist
dies
von
der
Raffalski
nicht
zu
sagen;
mindestens
ist
die
Raffalski
unsicher.
Nachdem
der
Staats
-
anwalt
noch
den
Nachweis
geführt,
daß
die
Depesche
aus
Hannover
von
Gönczi
selbst
verfaßt
sei,
fuhr
er
fort:
Meine
Herren
Geschworenen,
ich
habe
das
feste
Vertrauen
zu
Ihnen,
daß
Sie
sich
in
Ihrem
Urteil
nicht
dadurch
beeinflussen
lassen
werden,
weil
der
Mord
mit
Todesstrafe
geahn
-
det
wird.
Der
einzige
Zweifel
könnte
darüber
auftauchen,
ob
ein
Fall
des
Raubes
vorliegt,
oder
ob
zwei
Fälle
vorliegen,
denn
es
kann
angenommen
werden,
daß
er
erst
beide
Frauen
beseitigen
mußte,
bevor
er
rauben
konnte.
Was
die
Ehefrau
Gönczi
anlangt,
so
bin
ich
der
Meinung,
daß
sie
als
Mittäterin
nicht
in
Frage
kommt.
Ich
glaube,
daß
das,
was
Frau
Gönczi
hier
gesagt
hat,
der
Wahrheit
entspricht.
Die
Angeklagte
hat
es
aber
unter
-
lassen,
der
Behörde
von
dem
geplanten
Verbrechen
ihres
Ehemannes
Anzeige
zu
machen
zu
einer
Zeit,
als
die
Ausführung
noch
verhindert
wer
-
den
konnte.
Sie
ist
auch
der
Hehlerei
schuldig,
denn
sie
hat
die
geraubten
Schmucksachen
an
sich
gebracht.
Demnach
rechtfertigt
sich
wegen
dieser
Schuld
der
Angeklagten
deren
Untersuchungshaft.
Ich
möchte
dies
beson
-
ders
betonen,
damit
nicht,
wenn
Frau
Gönczi
freigesprochen
werden
sollte,
wieder
in
den
Zeitungen
ein
Spektakel
darüber
losgeht,
dass
man
die
Ange
-
klagte in Haft behalten halten hat.
Verteidiger
Rechtsanwalt
Dr.
Herbert
Fränkel:
Meine
Herren!
Ich
gebe
von
vornherein
zu,
daß
der
Angeklagte
sich
in
unzählige
Widersprü
-
che
verwickelt
hat.
Er
lügt,
sobald
er
den
Mund
auftut,
er
ist
ein
geborener
Aufschneider
und
deshalb
muß
man
alle
seine
Angaben
überhaupt
außer
Acht
lassen
und
sich
nur
an
die
nackten
Tatsachen
halten.
Aus
diesen
wirk
-
lichen
Tatsachen
kann
man
zwanzig
Schlüsse
und
Möglichkeiten
ziehen,
denn
es
handelt
sich
um
einen
Indizienbeweis.
Die
Wahrscheinlichkeit
kann
nicht
die
Wahrheit
ersetzen,
auch
der
geringste
Zweifel
muß
hinreichen,
um
die
Schuld
als
nicht
erwiesen
zu
halten.
Der
Staatsanwalt
hat
selbst
aner
-
kannt,
daß
wahrscheinlich
zwei
die
Tat
vollführt
haben,
und
deshalb
hat
man
auch
zuerst
die
Ehefrau
als
Mittäterin
angesehen.
Jetzt
scheidet
der
Staatsanwalt
aber
die
Frau
selbst
aus.
Nun
sollte
man
doch
die
Spuren
des
zweiten
Täters
verfolgen,
und
dazu
gibt
der
Brief
des
Louis
Schulz
an
das
Konsulat
in
Rio
de
Janeiro
die
Handhabe.
Die
bisherigen
Nachforschungen
sind
unzureichend,
nicht
einmal
das
Original
des
Briefes
liegt
vor.
Ich
bean
-
trage
daher:
Das
Strafverfahren
gegen
die
Ehefrau
abzutrennen
und
die
Verhandlung
gegen
den
Ehemann
zum
Zwecke
weiterer
Ermittelungen
zu
vertagen.
Staatsanwalt:
Es
ist
richtig,
daß
der
Angeklagte
bei
seiner
ersten
Ver
-
nehmung
von
einem
Gastwirt
Schulz
gesprochen
hat,
der
im
Hause
Königgrätzer
Straße
35
gewohnt
habe,
er
hat
sich
aber
sofort
dahin
verbes
-
sert,
daß
er
den
Schankwirt
Hinz
meine.
Wenn
der
Antrag
des
Verteidigers
durchgeht,
so
gebe
ich
ihm
zu
bedenken,
daß
Gönczi
noch
Jahr
und
Tag
in
Untersuchungshaft
sitzen
kann,
und
zwar
nach
wie
vor
in
Fesseln,
das
wird
er
seinem
Verteidiger
zu
verdanken
haben.
Ich
möchte
dem
Verteidiger
anheimgeben, seinen Antrag zurückzuziehen.
R.-A.
Dr.
Fränkel:
Ich
überlasse
es
dem
Angeklagten,
ob
er
den
Antrag aufrechterhalten will.
Vorsitzender:
Angeklagter
Gönczi,
wie
stellen
Sie
sich
zu
dem
Antrage?
Angeklagter:
Meine
arme
Frau
muß
unschuldig
sterben,
es
ist
nun
ganz
egal,
ob
sie
im
Gefängnis
unschuldig
stirbt.
Wenn
es
keine
Gerechtig
-
keit mehr gibt, dann wollen wir beide unschuldig sterben.
Deutsches Reich,
Sonnabend,
07. April 1900
Seite
13
Vorsitzender:
Ja,
soll
denn
der
Beweisantrag
des
Herrn
Rechtsan
-
walts gestellt werden?
Gönczi:
Jawohl,
es
soll
Beweis
erhoben
werden,
wenn
ich
die
Tat
nicht begangen hab', will ich mich nicht verurteilen lassen.
Vorsitzender:
Wenn
Sie
aber
meinen,
daß
Ihre
Frau
aus
dem
Gefängnis herauskommt, dann dürften Sie vielleicht im Irrtum sein.
Angeklagter:
Bitt'
schön,
das
macht
nix,
wir
haben
uns
Treue
geschworen
bis
zum
Tod.
Wenn
die
arme
Frau
was
gegen
mich
ausgesagt
hat,
dazu
ist
sie
nur
gezwungen
worden.
(Frau
Gönczi
weinte
während
die
-
ser Worte des Angeklagten bitterlich.)
Der
Vorsitzende
machte
eine
halbe
Stunde
Pause,
um
dem
Verteidi
-
ger
Gelegenheit
zu
geben,
sich
mit
seinem
Klienten
zu
verständigen.
Nach
Ablauf
dieser
Frist
erklärte
Rechtsanwalt
Dr.
Fränkel:
Er
habe
dem
Ange
-
klagten geraten, auf den Beweisantrag zu verzichten.
Vorsitzender: Nun, Gönczi?
Angeklagter
Gönczi:
Ich
will
nicht
verzichten,
ich
will
noch
mal
ver
-
handelt haben.
Rechtsanwalt
Dr.
Fränkel:
Der
Angeklagte
legt
Gewicht
darauf,
daß
das
Original
des
Schulzeschen
Briefes
an
das
Konsulat
in
Rio
de
Janeiro
herbeigeschafft
wird.
Der
Verteidiger
stellte
darauf
schriftlich
den
Antrag,
das
Schreiben
des
Louis
Schulz
herbeizuschaffen
und
an
der
Hand
dieser
weiteren
Ermittlungen
nach
dem
Schreiber
anzustellen.
Er
beantragte
wei
-
ter,
das
Verfahren
gegen
Frau
Gönczi
abzutrennen
und
zur
Anstellung
der
Ermittelungen die Sache zu vertagen.
Justizrat
Grabower
bat
im
Interesse
seiner
Klientin
um
Ablehnung
des
Antrages,
der
wohl
nur
auf
denselben
Mann
zurückzuführen
sei,
der
allen
schon
so
viele
Nüsse
zu
knacken
aufgegeben
habe.
Gönczi
würde
durch
die
Erfüllung
seines
Antrages
gar
nichts
zugunsten
seiner
Frau
errei
-
chen.
Der
Gerichtshof
beschloß,
den
Antrag
auf
Trennung
des
Verfahrens
abzulehnen,
weil
die
Schuldfrage
zweckmäßig
nur
gegen
beide
Angeklagte
gemeinsam
entschieden
werden
könne,
ferner
auch
den
Antrag
auf
Anstel
-
lung
von
Ermittelungen
abzulehnen,
da,
selbst
wenn
aufgeklärt
würde,
daß
der
Schreiber
des
Schulzeschen
Briefes
der
Täter
sei,
dadurch
nicht
bewie
-
sen werde, daß der Angeklagte nicht an der Tat beteiligt sei.
Der
Verteidiger,
Rechtsanwalt
Dr.
Fränkel,
wies
alsdann
darauf
hin,
daß
die
Art,
wie
der
Angeklagte
an
der
Tat
beteiligt
sein
könne,
stets
im
Dunkeln
bleiben
würde.
Eine
ganze
Reihe
von
Umständen
spräche
dafür,
daß
zwei
Personen
dabei
beteiligt
seien.
Dies
sei
ja
auch
vom
Staatsanwalt
zugegeben
worden.
Wenn
das
Zeugnis
der
Raffalski
allein
auch
nicht
als
ausschlaggebend
angesehen
werden
könne,
so
fielen
die
bestimmten
Aus
-
lassungen
des
Dr.
Schlesingerschen
Ehepaares
und
der
Zeugen
Hellmich
und
Vorwärts
umso
schwerer
ins
Gewicht.
Danach
sei
Gönczi
am
18.
August
in
Berlin
gewesen.
Auffallend
sei
es
außerdem,
daß
man
keine
Blut
-
spuren
an
der
Kleidung
Gönczis
oder
Verletzungen
an
seinem
Körper
wahrgenommen
habe.
Besonders
die
jüngere
Schultze
sei
eine
kräftige
Frau
gewesen
und
es
lasse
sich
nicht
annehmen,
daß
diese
sich
ohne
Gegenwehr
würde
haben
hinschlachten
lassen.
Auch
der
Umstand,
daß
der
Angeklagte
das
Beil
aus
seiner
Wohnung
nach
der
Königgrätzer
Straße
trug,
sei
kein
Beweis
dafür,
daß
er
die
Mordtaten
begangen
habe,
viel
näher
liege
die
Annahme,
daß
er
das
Instrument
seinem
Genossen
geliefert
und
sich
demnach
nur
der
Beihilfe
schuldig
gemacht
habe.
Wollten
die
Geschworenen
die
Schuldfrage
wegen
Mordes
bejahen,
so
müssten
sie
auch
der
festen
Überzeugung
sein,
daß
Gönczi
der
Täter
sei;
liege
dage
-
gen
der
geringste
Zweifel
vor,
so
müsse
die
Schuldfrage
verneint
und
Gönczi nur wegen Beihilfe schuldig gesprochen werden. Dies beantrage er.
Nach
einer
kurzen
Erwiderung
des
Staatsanwalts
bemerkte
der
Ver
-
teidiger:
Es
müsse
zum
mindesten
doch
geprüft
werden,
ob
der
Angeklagte
nur
habe
stehlen
wollen
und
um
ein
Hindernis
zu
beseitigen,
die
Frauen
ermordet habe.
Der
Staatsanwalt
gab
dem
Verteidiger
anheim,
eine
solche
Schuld
-
frage
zu
beantragen.
Der
Verteidiger
erklärte
jedoch,
daß
er
darauf
verzichte, da er die Schuld des Angeklagten nicht für erwiesen erachte.
Verteidiger
Justizrat
Grabower
schloß
sich
bezüglich
der
Frau
Gönczi
dem Antrage des Staatsanwalts an.
Der
Angeklagte
Gönczi
beteuerte
nochmals
in
längerer
Rede
seine
Unschuld.
Er
hätte
die
Morde
viel
bequemer
in
der
Schultzeschen
Wohnung
begehen
können
und
alsdann
nicht
nötig
gehabt,
sich
eine
Ladeneinrich
-
tung machen zu lassen.
Die
Geschworenen
bejahten
bezüglich
Gönczi
die
Schuldfragen
wegen
Mordes
und
Raubes
in
zwei
Fällen,
verneinten
dagegen
die
Schuld
-
frage bezüglich der Frau Gönczi.
Der
Gerichtshof
verurteilte
dementsprechend
Gönczi
zweimal
zum
Tode
und
zu
dauerndem
Verlust
der
bürgerlichen
Ehrenrechte.
Frau
Gönczi
wurde freigesprochen.
Nachdem
das
Todesurteil
Rechtskraft
erlangt
hatte,
wurde
Gönczi
hingerichtet.
Quelle:
Hugo
Friedländer:
Interessante
Kriminal-Prozesse
von
kulturhistorischer
Bedeu
-
Deutsches Reich,
Sonnabend,
07. April 1900
Seite
14
tung, 1911-1921, Band 2.
Deutsches Reich/Belgien
Abkommen zwischen dem Deutschen Reich und Belgien
Das
Deutsche
Reich
und
Belgien
schließen
ein
Abkommen
über
Erleichte
-
rungen
im
grenzüberschreitenden
Fabrikverkehr.
Danach
wird
die
ungehinderte
und
abgabenfreie
Ein-
und
Ausfuhr
von
Rohprodukten
sowie
von
Halb-
und
Ganzfabrikaten
von
Spinnerei-,
Walkerei-
und
Färbereibetrie
-
ben garantiert.
Ausland
Italien
Neuer Kriegsminister in Italien
Als
Nachfolger
des
am
08.
Januar
1900
wegen
sei
-
ner
angeblichen
Verbindungen
zur
Mafia
zurückge
-
tretenen
Giuseppe
Mirri
wurde
Coriolano
Graf
Ponza
di
San
Martino
zum
neuen
italienischen
Kriegsminister ernannt.
Deutsches Reich,
Sonnabend,
07. April 1900
Seite
15
Mirri, Guiseppe
1834 - 1907